: „Wü teck teck!“
Frau Braunkehl ist die prominenteste Bewohnerin des „Grünen Bandes“ . Sie hat keinen Vogel, sie ist selber einer
INTERVIEW TOM WOLF
taz: Guten Tag, Frau Braunkehl! Sie sind unnahbarer als ein Filmstar …
Frau Braunkehl: Teck teck! Wie es bei uns zur Begrüßung heißt!
Noch dazu war es eine weite Reise, um Sie jetzt im Winter zu erwischen. Sie sind jedes Jahr in Zentralafrika, wenn Väterchen Frost Europa im Griff hat?
Auf diese Reise haben wir noch nie verzichten müssen, zum Glück, ja! Sonst hätte ich mir schon lange überlegt, Schluss zu machen …
Fliegen ist doch gar nicht umweltfreundlich – denken Sie denn gar nicht an die Natur?
Na, Sie machen mir Spaß! Sie mit Ihren Kerosinschleudern! Wir fliegen voll ökologisch! Selbstgeschafft, aus eigener Kraft: 250 Kilometer pro Tag, über Italien und dann über Ostafrika. Wü teck teck! Bevor’s losgeht, wiege ich doppelt so viel wie normal.
Jetzt sehen Sie blendend aus. Braungebrannt und gut erholt. Und gar nicht … korpulent … sehr schlank!
Danke, Sie Schmeichler. So wie’s aussieht, bleiben wir auch noch etwas hier. So braun bin ich übrigens immer. Es ist ja nur ein schlichtes Federkleid .
Sie sind klein, zierlich, unscheinbar, braun – und doch der Charaktervogel des Grünen Bandes. Steigt Ihnen der Ruhm manchmal zu Kopf?
Ach, i wo! Wenn ich nicht will, kriegen mich Reporter gar nicht zu Gesicht. Ich wäre die Letzte, die sich auf ’nem Exgrenzpfosten ablichten ließe … Dann schon eher auf ’nem Exgrenzposten … (lacht frech) … aber die sind nach ihren letzten Prozessen nicht mehr so oft auf Streife im Streifen. Höchstens mit Wanderstab. Ferngläser tragen jetzt bloß die Vogelkundler spazieren.
Sie haben die Grenze gemocht?
Den Korridor, meinen Sie? Ja, den ja. Die wild belassenen Öd- und Brachlandstreifen zu beiden Seiten. Die Grenze an sich und das Politische, das war mir piepegal. Die Blau-, Schwarz- und Rotkehlchen sehen das ähnlich.
Und die Grünkehlchen?
Gibt’s gar nicht, Sie Aaskrähe!
Jedes Jahr Zentralafrika … einmal jährlich eine Flugreise – wenn Sie sich das immer noch leisten können, dann kann es um die Braunkehlchen so schlimm nicht stehen!
Ich kann nicht klagen, es ging uns schon mal schlechter. Wir gelten bundesweit als gefährdet. Aber da gibt’s ganz andere Fälle. Den Schwarzstorch, die Bekassine, den Brachpieper, den Bienenfresser. Und erst die Großtrappe, na, ich kann Ihnen sagen … ein hoffnungsloser Fall. Fliegende Doppelwhopper sind das, unter uns gesagt. Na ja, die Dinos waren auch irgendwann einfach zu fett für diese Welt.
Wann war ihre dunkelste Zeit?
In den Fünfzigern, den Sechzigern und Siebzigern ging’s bergab. Am schlimmsten aber war es in den Achtzigern. Da schien das Ende absehbar.
Als sich die beiden Deutschländer im Kalten Krieg eingegraben hatten …
Ja, das war grauenhaft. Man wollte sich gegenseitig zugrunde wirtschaften. Überall haben sie uns die Heckengehölze fortgerissen, haben die Wiesen zu früh gemäht, haben Pestizide versprüht wie blöd. Die Ostler warfen zeitweise sogar den Dünger mit Flugzeugen ab. Nicht wenige von uns sind von den Klumpen erschlagen worden. Egal, ob hüben oder drüben – die Landwirtschaft fraß unsere bevorzugten Lebensräume, die deutsche Steppe. Man hat einfach alles plattgemacht. Dabei brauchen wir solitäre Büsche und Zäune.
Also müssen Ihnen schon allein die Grenzzäune und Pfosten und Wachtürme die deutsche Teilung schmackhaft gemacht haben.
Was waren wir froh über den Eisernen Vorhang! Wir haben die Nächte durchgesungen vor Freude. Klingt ein bisschen abgerissen, schmatzend und kratzig. Aber wir können es durchaus, wenn wir wollen. Gerne nachts, wie unsere Brüder im Geiste, die Rotkehlchen. Die sind mit euch schon immer besser ausgekommen. Diese Kulturfolger … Na ja, zivilisierte Massenwesen eben.
Aber waren Sie nicht doch mehr im Osten als im Westen? Das können Sie ruhig zugeben!
Die Würmer haben auf beiden Seiten scheiße geschmeckt, Entschuldigung. Nur im Streifen, da wo nicht gespritzt wurde, da waren sie gut. Wir waren weder Wessis noch Ossis – uns hat die Grenze gar nicht berührt. Da flogen wir doch drüber! Der Streifen, das Grüne Band, war der ideale Rückzugsort.
Haben Sie auch Grenzzwischenfälle erlebt!
Sicher. Und zwar nicht wenige. Es gab zwar kaum Unfälle mit Mähmaschinen oder gar den Selbstschussautomaten im pestizidbehandelten Todesstreifen … Der war unattraktiv, selbst die Würmer haben ihn gemieden. Aber die Grenzhunde (schmatzt hart, wütend) haben auch oft im Hinterland unsere Jungen totgebissen! Oh nein, es war nicht alles gut an diesem heute so hübschen Grünen Band! Aber im Großen und Ganzen gab es da für uns die letzten Brach- und Ödflächen mit … äh … niedriger vielfältig strukturierter Bodenvegetation, guter Deckung für das Gelege am Boden und geeigneten Sitzwarten, etwa Hochstauden, Zäunen, Grenzposten … äh -pfosten, oder Einzelbüschen, wie die Ornithologen sagen.
Das heißt die Vogelkundler.
Ja, die haben schon in den Siebzigern begonnen, die Grenzstreifen und die sich anschließenden gering besiedelten Landstriche beiderseits zu untersuchen. Und die fanden, dass es da viele hübsche Reviere, also Grundstücke für uns gab. Wie im Übrigen auch für den Schwarzstorch, den Wiedehopf, den Ziegenmelker und all die anderen … auch für die Großtrappe übrigens, im Wendland.
Heute nennt man Sie den Charaktervogel des Grünen Bandes … Wollen Sie wieder Vogel des Jahres werden wie schon 1987? Der Eisvogel hat es dieses Jahr erneut geschafft.
Ach nein. Dieser ganze Medienrummel. Sicher, auf den Titelblättern zu sein, dekorativ auf einem der alten Betonpfähle, das föhnt das Ego. Aber ich bin heute gerne wieder im weiten Ödland unterwegs, jetzt, wo die Landwirtschaft zurückhaltender geworden ist – sei’s aus Krise, sei’s aus Einsicht. Sicher, für das Grüne Band, als Idee … bin ich gerne bereit, auch weiter meinen Namen herzugeben.
Frau Braunkehl, danke, und eine schönen Rückflug! Meiden Sie Italien! Kein Urlaubsort, wo Vogelmord!
Ach, gehen Sie mir doch weg mit der Angstmache der Achtziger … Wir kommen schon klar.
TOM WOLF, Jahrgang 1964, lebt als Schriftsteller in Berlin