piwik no script img

Archiv-Artikel

Im Weimar des Nordens

Wasserturm mit Aussicht auf Seen und auf Kunstwerke, und das in den Zeiten schwindender finanzieller Mittel: In Eutin wird mit Julia Münzers Endlosbild-Abspielstelle eine weitere junge Position präsentiert. Was von der einen Seite stürzt, steigt von der anderen Seite betrachtet auf

von Hajo Schiff

Wälder, Felder und Seen, Schlösser, Kirchen und Gasthöfe: Der 1906 in neugotischen Formen erbaute Wasserturm in Eutin bietet aus 38 Meter Höhe einen schönen Ausblick auf Ostholstein. Und weil das Industriedenkmal noch in Betrieb ist, muss zunächst der große Wassertank mittels einer schmalen Wendeltreppe durchstiegen werden. Was manchen arglosen Ausflügler aber noch mehr verwundert, sind die künstlerischen Interventionen, mit denen der Turm seit acht Jahren bespielt wird.

Trotz schwindender finanzieller Mittel ist es dem Verein „OHa Kunst e.V.“ auch dieses Jahr wieder gelungen, eine junge Kunstposition zu präsentieren: Die 1977 in Köln geborene Julia Münz hat den ersten Stock des Wasserturms in die Abspielstelle einer altertümlichen optischen Maschine verwandelt. Zwischen die beiden auf sieben Metern frei stehenden, aluminiumglänzenden Fallrohre hat sie den Zwischenraum ausfüllend ein Endlosbild montiert. Die auf grobe Leinwand aufgezogene, gezeichnete und kolorierte Bilderfolge funktioniert mittels zweier Umlenkrollen wie ein Riesenloop, eine Bilderfolge ohne Anfang und Ende, die die Betrachter, am besten zu zweit, selbst in Gang setzen können.

So ist es möglich, sich in auf- oder absteigender Bewegung aus der konstruktionsbedingt nie ganz sichtbaren Zeichnung in selbstgewählter Geschwindigkeit einen eigenen Film zusammenzuschauen: Eine Landschaft, etwas Gebautes, technische Funktionen über beides, Köpfe, der Mond, das ganze Stadt-Land-Himmel-Motiv scheint wie über einen Nürnberger Trichter in einen Kopf einzufließen – oder ebendiesem zu entspringen? Denn es liegt im Wesen der Konstruktion, dass die Darstellung von zwei Seiten zu sehen ist: Was von der einen Seite kopfüber zu stürzen scheint, steigt von der anderen Seite betrachtet auf.

Die in Hamburg lebende Zeichnerin Julia Münz hat vor ihrem Studium an der dortigen Fachhochschule, Fachbereich Gestaltung, auch an der Leipziger Hochschule für Graphik und Buchkunst studiert. Aber über Einzelblatt und Buchillustration hinausgehend gibt sie ihrer Kunst einen objekthaften Halt. Ihr Vorbild dabei sind jene seltsamen Bildermaschinen, die der Erfindung des Kinos vorausgingen. So baut sie alte Koffer um und belebt sie mit gezeichneten Bildfilmen hinter einem eingeschnittenen Fenster. Auch Rollwagen hat sie konstruiert, bei denen die Bilder durch das Herumrollen der Objekte im Raum voranbewegt wurden. Bei diesen Objekten ist es notwendig, dass zwei Personen zusammenarbeiten. Denn ebenso wichtig wie der gezeichnete Inhalt ist Münz die spielerische Interaktion des Publikums mit den Arbeiten.

Schon eine ganze Reihe von jungen Künstlern haben im Eutiner Wasserturm ausgestellt, so der Kieler Konzeptkünstler Volker Tiemann, der Hamburger Klangkünstler Andreas Oldörp oder die Kopenhagener Videokünstlerin Eva Koch. Über die ausdrücklich gewollte Förderung junger Künstler hinaus hat der Verein auch immer wieder Verbindungslinien betont und Positionen einzelner Professoren ausgestellt: Aktionskunst von Fluxuskünstler Henning Christiansen aus Dänemark, Videokunst von der Kölner Medienprofessorin Ulrike Rosenbach oder eine konzeptuelle Installation des Schweizer Bildhauer-Theoretikers Hannes Brunner. Es ist zu hoffen, dass die Interventionen des Vereins OHa Kunst auch in den nächsten Jahren weitergehen. Denn mit ihnen ist Eutin auch für frische junge Kunst attraktiv geworden.

Die Kreisstadt, Geburtsort des Komponisten Carl Maria von Weber, galt einst als „Weimar des Nordens“, in dem zeitweilig der Goethe-Maler Johann Heinrich Wilhelm Tischbein und der Homer-Übersetzer Johann Heinrich Voss lebten. Zu dieser goldenen Zeit Eutins in den Jahrzehnten um 1800 erfährt man viel im örtlichen „Ostholstein-Museum“. Das befindet sich im blendend weiß gestrichenen ehemaligen Marstall am klassizistischen Schlossplatz, gegenüber des im großen Park idyllisch am See liegenden Wasserschlosses aus dem 15.–18. Jahrhundert.

„Julia Münz – ohne Ende“: Di–So 11–16 Uhr, Wasserturm Eutin, Bismarckstraße; bis 14. September. www.oha-kunst-online.de; Ostholstein-Museum, Schlossplatz 1, geöffnet Di–So 10–13 und 14–17 Uhr, Do bis 19 Uhr, www. oh-museum.eutin.de