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Archiv-Artikel

Späte Ermittlungen down under

36 Jahre nach dem mysteriösen Verschwinden des früheren australischen Regierungschefs Harold Holt soll jetzt die Todesursache untersucht werden

MELBOURNE taz ■ Mit 36 Jahren Verspätung soll in Australien der mysteriöse Tod eines amtierenden Premierministers erstmals juristisch untersucht werden. Am 17. Dezember 1967 verschwand Harold Holt spurlos im Pazifischen Ozean. Eine Gesetzänderung macht erst jetzt eine gerichtliche Untersuchung möglich – auch ohne den Fund einer Leiche.

Der 18. Regierungschef Australiens ist in seiner Heimat immer noch eine Legende. Bis heute halten sich bizarre Gerüchte über das Verschwinden des konservativen Politikers. Besonders jenes, Holt sei vor der australischen Küste von einem chinesischen U-Boot an Bord genommen und entführt worden.

Wie kein anderer australischer Regierungschef scheute Holt Sicherheitsbeamte zu seinem Schutz. Furchtlos mischte sich Holt unter das Volk, auch in dem Badeort Portsea auf der Halbinsel Mornington bei Melbourne. Dort hatte die Familie ein Ferienhaus. Nach Ende der Parlamentswoche in Canberra flog Holt nach Melbourne. Von dort aus ging die Reise im Auto weiter nach Portsea.

Zwei Tage später fuhr Holt mit seiner Freundin Gillespie zum Point Nipean hinaus, um zu beobachten, wie der Solo-Segler Alec Rose auf seiner Weltumseglung in Melbournes Port Phillip Bay hineinsegelte. Holt hatte, wie seine Frau Zarah später enthüllte, zahlreiche Geliebte. Am Tag seines Verschwindens peitschte ein besonders starker Sturm die See. Die öffentlichen Badestrände waren deshalb geschlossen. Dennoch sprang Holt an seinem privaten „Cheviot Beach“ in die Wellen, schwamm hinaus und – verschwand. „Ich kenne dieses Gewässer wie mich selbst“, hatte er kurz davor versichert.

200 Taucher, Soldaten und Polizisten suchten viele Tage die See, den Strand und auch die unterseeischen Höhlen ab. Seine Leiche tauchte nie auf. Holt habe sich selbst überschätzt und sei vermutlich vom starken Unterwassersog hinausgeschwemmt worden, als Flut und Ebbe aufeinander trafen, meinten einige Experten. Die See vor Cheviot Beach ist zudem voller Menschen fressender Haie.

In den Akten heißt es zu Holt immer noch: „Vermutlich ertrunken“. Bisher konnten Fälle gewaltsamen oder unnatürlichen Todes nur dann untersucht werden, wenn auch eine Leiche vorhanden war. Dieses Gesetz wurde erst vor kurzem geändert – und der geheimnisvolle Fall Holt wieder aktuell. BORIS BEHRSING