: Psychokrieg in der Union
Fraktionsvizechefs keilen aus – auch gegeneinander. Ein Grund dürfte sein, dass sie beide nicht Minister werden können. Doch in persönlichen Zwisten spiegelt sich der fraktionsinterne Widerstreit zwischen Gegnern und Verteidigern des Sozialstaats
VON ULRIKE WINKELMANN
Der Streit in der Union wird zusehends persönlicher. Jedenfalls bringt ein frisch im Stern veröffentlichtes Interview mit dem Vizechef der CSU, Horst Seehofer, eine psychotherapeutische Note in die Auseinandersetzung um ein Konzept zur Arbeits- und Sozialpolitik. „Ich weiß jetzt, was Mobbing bedeutet“, erklärte Seehofer, der auch Vizechef der Unionsfraktion ist. Er sei schon als „krank, psychisch gestört, nicht zurechnungsfähig“ bezeichnet worden, und zwar von „Feiglingen“ oder auch „Schlafmützen aus der zweiten oder dritten Reihe“.
Mit diesen Worten dürfte der Haudrauf aus Bayern immerhin auch seinen Vizefraktionschef-Kollegen Friedrich Merz gemeint haben. Denn diesem wurden schon im vergangenen Jahr abfällige Worte über Seehofer zugeschrieben, als der Ex-Gesundheitsminister sich über die CDU-Pläne zur Abschaffung des solidarischen Gesundheitssystems aufzuregen begann.
Solche Gemeinheiten sind wohl ein Ventil dafür, dass weder Seehofer noch Merz davon ausgehen dürfen, nach einem Unions-Wahlsieg 2006 Minister zu werden. Dies jedoch liegt daran, dass Seehofer wie Merz jeweils entgegengesetzte Pole im Kampf darum besetzen, wie die Union diesen Wahlsieg erringen will.
Seehofer ist der einzige echte Gesundheitsexperte der Union. Als solcher kritisiert er das Profilierungsthema von Parteichefin Angela Merkel: die Kopfpauschale, deren Zumutungen durch Steuern ausgeglichen werden sollen. Allerdings ist Seehofer jeder Meinungsumschwung zuzutrauen. Zudem müssen sich CDU und CSU bis zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai 2005 auf ein Konzept einigen. Doch es ist bislang nicht zu erkennen, wie die Union am CDU-Beschluss für die Einheitsprämie festhalten und gleichzeitig so viel Steuergelder auftreiben will, dass Rentner und Familien nicht büßen müssen. Denn die Kopfpauschale entlastet nur Gutverdiener. Wöchentlich kursieren nun Vorschläge, die als Kompromisslösung verkauft werden.
Das jüngste derartige Modell wurde vom CDU-Sozialexperten Andreas Storm ins Spiel gebracht: Eine 1,7-prozentige Abgabe für alle müsste reichen, um den Sozialausgleich zu finanzieren. Der Darmstädter Professor Bert Rürup hat jedoch bereits darauf hingewiesen, dass eine solche Abgabe vom Gesamteinkommen enorme Bürokratie verursacht.
Vorschläge wie die 1,7-Prozent-Abgabe liegen ebenso wie alles, was Seehofer an Sozialpolitik vertritt, konträr zu sämtlichen Ideen des Friedrich Merz. Merz will das gesamte Steuersystem vereinfachen, die Steuern insgesamt senken. Er verursacht mit kernigen Vorschlägen gerne ein bisschen Wind sowohl inner- als auch außerhalb der Union. Jüngst erklärte er etwa den Kündigungsschutz für überflüssig.
Zwar ruderte er vorgestern zurück: Er habe nur sagen wollen, „dass wir vielleicht eines Tages auf den Kündigungsschutz verzichten können, wenn wir nachweisen, dass durch weniger Schutz mehr Beschäftigung möglich ist“. Doch zu spät. Selbst Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt erklärte gestern, dass ein „Überbietungswettlauf“ mit Vorschlägen zu immer gravierenderen Einschnitten ins Arbeits- und Tarifrecht überflüssig sei. Auf eine Lockerung des Kündigungsschutzes wird sich das Unions- mit dem Arbeitgeberlager allerdings leicht einigen können.
Die SPD hat derweil ihre Vokabeln für den Unionszwist beisammen. Sie entsprechen den Problemen, mit denen sie selbst zu kämpfen hat. Partei- und Fraktionschef Franz Müntefering erklärte: „Wir laufen auf eine Richtungsentscheidung zu, die heißt in der Tat: soziale Marktwirtschaft oder Kapitalismus.“