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Archiv-Artikel

Die Rückkehr der heiligen Krieger

„Unser heiliger Krieg auf der arabischen Halbinsel dient dem irakischen Kampf“

AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY

Folgen den „Afghanistan-Rückkehrern“ nun die „Irak-Rückkehrer“? Das zumindest befürchten westliche Geheimdienste und Diplomaten, die in Saudi-Arabien arbeiten. Sie meinen, dass sich die Geschichte einfach wiederholen könnte: In den 90er-Jahren waren viele Dschihad-Veteranen aus Afghanistan in ihre Heimatländer zurückgekehrt, um ihre gewonnenen Kenntnisse und ihre Kampfausbildung dort anzuwenden. Ob Saudi-Arabien, Ägypten oder Algerien – die „Afghan al-Arab“, die afghanischen Araber, wie sie genannt wurden, entwickelten sich schnell zum Rückgrat der militanten Islamistenszene, zunächst in ihren Heimatländern, später dann weltweit.

Erst gestern Morgen wurde in in der irakischen Stadt Bakuba wieder einmal der traurige Beweis dafür erbracht, wie gewaltbereit die Kämpfer sind. Bei einem verheerenden Anschlag starben fast siebzig Menschen, etwa sechzig wurden verletzt. Kurz vor zehn Uhr sprengte ein Selbstmordattentäter sein Auto vor einer Polizeiwache in die Luft. Zu dieser Zeit hatten sich dort 250 Menschen versammelt, um sich für die Polizei rekrutieren zu lassen. Die heiligen Krieger, die immer wieder blutige Anschläge verüben, dulden nach wie vor keinerlei Kooperation mit den Besatzern.

Es würde nicht überraschen, wenn die Attentäter aus Saudi-Arabien kommen. Das Land stellt den größten Teil der arabischen Freiwilligenkämpfer, die sich im Laufe des letzten Jahres auf den Weg in den Irak gemacht haben. Unter den in irakischen Gefängnissen einsitzenden ausländischen Kämpfern stehen die Saudis mit einem guten Viertel auf Platz eins, gefolgt von Syrern und Ägyptern.

Die saudischen Behörden waren zu Beginn des Irakkonflikts wahrscheinlich nicht unglücklich darüber, dass die jungen heiligen Krieger dort ein neues Beschäftigungsfeld gefunden hatten – jenseits der Heimatfront. Wenngleich sie offiziell das Ausmaß des Phänomens nie zugegeben haben: Sogar das Schalten von Todesanzeigen für im Irak gefallene saudische Kämpfern ist in den staatlichen saudischen Medien verboten.

Doch nun mehren sich die Hinweise, dass einige der jungen Kämpfer wieder zurückkehren. „Wir haben es mit einer neuen Gruppe zu tun, die ganz frisch in Guerillakriegführung trainiert ist“, wird ein westlicher Diplomat aus Riad in der Washington Post zitiert. „Wie viele es sind – ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es nicht allzu viele braucht, um eine Menge Schaden anzurichten“, fährt er fort.

Prominentester Vertreter der Rückkehrer ist der Saudi Saleh al-Oufi. Der Dreiunddreißigjährige war im letzten Jahr in den Nordirak gereist, um sich der dortigen militanten Gruppe Ansar al-Islam anzuschließen. Er verbrachte mehrere Monate im Land und überlebte nur knapp einen schweren Bombenangriff der US-Truppen auf den dortigen Ansar-Stützpunkt.

Nun ist er wieder zu Hause in Saudi-Arabien und gilt hier als die Führungspersönlichkeit al-Qaidas. Prompt wurde er die Nummer eins auf der saudischen Fahndungsliste der 26 meistgesuchten Militanten, die mehrmals am Tag im saudischen Staatsfernsehen ausgestrahlt wird. Auch die Nummer 19 auf der Liste verfügt über Verbindungen in den Irak. Osman Amri hatte sich vor kurzem im Rahmen eines Amnestieangebots freiwillig den saudischen Behörden gestellt. Seine Familie erklärte gegenüber der Presse, dass Amri einen guten Teil des Jahres im Irak verbracht habe.

Da die saudisch-irakische Grenze inzwischen einigermaßen überwacht wird, scheinen viele der Rückkehrer lieber einen Umweg in Kauf zu nehmen und überqueren die schlecht gesicherte, 1.500 Kilometer lange Grenze zwischen dem saudischen Königreich und seinem südlichen Nachbarn Jemen. Dort lässt die saudische Regierung inzwischen in einem besonders unübersichtlichen Abschnitt eine Betonmauer errichten.

Im Irak selbst berichteten Medien wie die Tageszeitung Al-Sabah Anfang des Monats von einer Krise innerhalb der Militanten, die angeblich kurz vor einer Spaltung stehen. Die Konfliktlinie verläuft zwischen dem von dem Saudi Al-Oufi geführten Flügel, der für den Kampf zu Hause plädiert, und seinem Gegenspieler, dem Ägypter Murkeen Al-Gohary, auch Abu Dajan genannt. Abu Dajan spricht sich dafür aus, alle Ressourcen auf den Irak zu konzentrieren. Die angebliche ehemalige Nummer eins Al-Qaidas in Saudi-Arabien, Abdel Asis al-Mukrin, mischte sich auf einer Internetseite in die Diskussion mit den Worten ein: „Unser heiliger Krieg auf der arabischen Halbinsel dient dem irakischen Kampf.“ Man helfe sich gegenseitig und habe gute Kontakte zu den Mudschaheddin im Irak. „Wir versuchen, zu verwirren und den amerikanischen Feind in seinen Rückzugsbasen abzulenken“, führte er weiter aus. Kurz darauf wurde er vor drei Wochen von saudischen Sicherheitskräften erschossen, al-Oufi soll an seine Stelle getreten sein.

„Für die Dschihad-Kämpfer sind der Irak und Saudi-Arabien zwei Teile desselben Schlachtfeldes, mit dem Irak als Front und Saudi-Arabien als Hinterland“, sagt Dia Raschwan, Experte für militanten Islam am Al-Ahram-Zentrum für strategische Studien in Kairo. Jetzt gehe es um die taktische Entscheidung, wo sich die Kräfte konzentrieren sollen, glaubt er. Dabei sehe eine wachsende Gruppe den Kampf gegen die eigenen proamerikanischen Regime in Iraks Nachbarländern als den wichtigeren Teil des Krieges gegen Amerika. Welcher Flügel wie groß ist, sei von außen kaum einzuschätzen, räumt Raschwan ein.

In jedem Fall vermuten westliche Sicherheitsexperten in Saudi-Arabien, dass es einen regen Austausch zwischen den Militanten in Saudi-Arabien und im Irak gibt. Eine Gruppe, die vor kurzem in der saudischen Hauptstadt Riad auf dem Weg zu einem Anschlag aufgegriffen worden war, soll zugegeben haben, von der irakischen Guerillahochburg Falludscha aus geschickt worden zu sein. Eine Zelle, die sich für die Enthauptung des Amerikaners Paul M. Johnson verantwortlich erklärt hatte, dessen Kopf vor wenigen Tagen bei einer Razzia in einem Kühlschrank in Riad entdeckt worden war, nannte sich Falludscha-Brigade, eine Untergruppe der so genannten al-Qaida der Arabischen Halbinsel.

„Wir sind sicher, dass wir es bei der Gleichheit der Methoden – wie dem Köpfen von Geiseln oder dem Hinter-dem-Auto-Herschleifen – nicht mit Leuten zu tun haben, die sich gegenseitig imitieren. Dies sind koordinierte Aktionen. Sie tauschen Informationen aus und stärken sich gegenseitig“, erklärte unlängst ein nicht namentlich genannter saudischer Regierungsbeamter gegenüber der britischen Times. Am 4. Mai, so die Zeitung, hatte die im Irak tätige militante Organisation al-Dschamaa al-Salafija gar verkündet, sie würde nun Eliteeinheiten nach Saudi-Arabien schicken, um dort amerikanische Institutionen anzugreifen.

Die saudischen Behörden geben sich optimistisch, das Problem in den Griff zu bekommen. Die Terrorkader seien durch die wiederholten Aktionen der saudischen Sicherheitskräfte ernsthaft angeschlagen, so die offizielle Version. Zudem habe man mit Abdel Asis Al-Mukrin, dem früheren Al-Qaida-Chef im Land, einen ihrer wichtigsten Führer getötet. Dessen Nachfolger Al-Oufi sei nicht vom gleichen Kaliber.

Auch der saudische Außenminister Prinz Saud Faisal spricht noch lieber von dem alten Problem der Afghanistanrückkehrer, die in der „afghanischen Universität gehirngewaschen wurden und nun geistig umgedreht als Killermaschinen zurückgekehrt sind“. Als Erfolg verbucht die Regierung, dass die meisten Afghanistanveteranen inzwischen verhaftet oder getötet worden sind. Die Washington Post zitiert dazu auch einen westlichen Diplomaten: „Die Afghanistangruppe wird alt. Viele befinden sich nun außerhalb des Systems.“

Wie sehr die Irakrückkehrer die Lücke füllen können, bleibt fraglich. Der Journalist Ramzi Khouri spricht von zwei Generationen: „Da gibt es die Afghanen, die sind militärisch gut ausgebildet, sehr effektiv und total gehirngewaschen. Und dann gibt es jetzt die Jungen, die sind vor allem nur wütend über das, was gerade im Irak und in Palästina läuft.“

Ob sich die Rückkehrerszene – ähnlich wie nach Afghanistan – auf die ganze arabische Welt verbreiten wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt schwer einzuschätzen. Der ägyptische Terrorexperte Raschwan glaubt, dass diese Erscheinung zunächst auf die Nachbarstaaten des Irak begrenzt bleiben wird. Nach dem Ende des Afghanistankrieges 1989 habe es schließlich immerhin noch fünf Jahre gedauert, bis die Rückkehrer in ihren Heimatländern aktiv wurden, erinnert Raschwan. Außerdem gebe es einen ganz entscheidenden Unterschied: „Die Russen haben sich aus Afghanistan zurückgezogen, die US-Truppen planen, noch jahrelang im Irak zu bleiben, und mit ihnen ein Teil der Mudschaheddin.“

Die größte Ironie bleibt, dass die US-amerikanische Regierung mit ihrem Irakfeldzug den militanten Islamisten nicht – wie gerne propagiert – ein Land entrissen, sondern ihnen einen neuen Stützpunkt geschenkt hat. Die heiligen Krieger im Irak von heute werden schon bald Irakveteranen sein: kampferprobt und auf der Suche nach neuen Betätigungsfeldern.