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Archiv-Artikel

Mächtige wider Willen

Die Länder reklamieren immer öfter, wenn ihnen ein Bundesgesetz nicht passt – und drängen Karlsruhe in die Politarena

AUS FREIBURG CHRISTIAN RATH

Deutschland hat ein neues Problem. Es wird künftig noch viel schwieriger und langwieriger, Gesetze zu beschließen. Die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Juniorprofessor machte es deutlich. In Zukunft muss bei vielen Gesetzen des Bundes nicht nur die Zustimmung des Bundesrats eingeholt werden, vielmehr ist schon fraglich, ob und wofür der Bund überhaupt noch zuständig ist. Bald werden die Karlsruher Richter regelmäßig über Länderklagen zu entscheiden haben, die dem Bund die Kompetenz bestreiten.

Man hätte es wissen können: Schon vor zwei Jahren kündigte das Verfassungsgericht an, dass es künftig die Machtverteilung zwischen Bund und Ländern genauer prüfen werde. Damals ging es um die Neuregelung der Altenpflegeausbildung durch ein Bundesgesetz. Geklagt hatte – na wer wohl? – Bayern. Die Entscheidung blieb weitgehend unbeachtet, die Bayern verloren.

Ernst machte Karlsruhe dann in diesem Frühjahr. Das Gericht kippte das vom Bund beschlossene Zuchtverbot für bestimmte Kampfhunderassen. Zuständig hierfür seien die Länder. Und nun das Urteil zur Juniorprofessur: Der Bund durfte die Laufbahn der Hochschullehrer nicht en detail regeln und muss dies künftig den Ländern überlassen, entschieden die Richter. Aus demselben Grund könnte noch in diesem Jahr das vom Bund beschlossene Verbot von Studiengebühren fallen. Auch hiergegen klagen Länder in Karlsruhe.

Wollen die Verfassungsrichter also dem Bund das Regieren schwer machen? Nein, sie tun nur ihre Pflicht. Sie setzen eine Grundgesetzänderung von 1994 um. Nach der Wiedervereinigung wurde die Verfassung überprüft, und eines der wesentlichen Ergebnisse lautete: Die Länder müssen wieder mehr Spielraum in der Gesetzgebung erhalten. Deshalb wurden im Grundgesetz die Anforderungen an Bundesgesetze in zwei Punkten erhöht. Rahmengesetze – wie im Hochschulrecht und beim Natur- und Gewässerschutz – dürfen im Prinzip keine Detailregelungen mehr enthalten. Und im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung – das betrifft die Mehrheit der Politikbereiche – darf der Bund ein Gesetz nur noch erlassen, wenn es zur „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ oder zur „Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit“ erforderlich ist. Dass die Richter dem Bund nun also regelmäßig Knüppel zwischen die Beine werfen, kann niemand verwundern – eher dass es so lange dauerte, bis es zu ernsten Konflikten kam.

Schwierig war das Verhältnis von Bund und Ländern von Anfang an. Die Allierten setzten nach dem Krieg durch, dass die Länder immer zuständig sind, wenn das Grundgesetz nichts anderes bestimmt. Schon damals hieß es, dass der Bund im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung nur tätig werden kann, wenn dies „erforderlich“ ist. Das Bundesverfassungsgericht jedoch verzichtete auf die Kontrolle dieses Passus. Der Bundestag habe einen weiten „Beurteilungsspielraum“ bei der Frage, wann ein Bundesgesetz erforderlich ist, lautete die Begründung. Die Folge: Der Bund okkupierte die Gesetzgebung fast völlig, die Länder wurden auf Verwaltungseinheiten gestutzt, die aber im Bundesrat kräftig mitfeilschen dürfen. 1994 nun wollte man mit der Grundgesetzänderung Karlsruhe ausdrücklich zur Kontrolle anhalten. Dort sollte künftig ernsthaft geprüft werden, ob ein Bundesgesetz erforderlich ist.

Ob sie es wollen oder nicht, damit hat die Macht der Verfassungsrichter zugenommen. Im Streitfall müssen jetzt sie entscheiden, welche Bundesgesetze erforderlich sind und was den Ländern verbleiben soll. Dabei werden natürlich immer diejenigen Länder klagen, denen ein Bundesgesetz auch inhaltlich nicht gefällt. Im Streit um den Juniorprofessor ging es den Klägern Bayern, Thüringen und Sachsen eben nicht nur um ihre Rechte, sie ärgerten sich auch über die Entwertung der Habilitation. Und fast hätten auch die Verfassungsrichter ganz nach politischem Gusto abgestimmt. Vier von der Union vorgeschlagene Richter stimmten für die Länderklage, drei Richter mit SPD-Ticket hielten das rot-grüne Bundesgesetz für zulässig.

Den Ausschlag gab schließlich der linke Vizepräsident Winfried Hassemer, der mit seinen konservativen Kollegen stimmte. Vielleicht wollte er den Anschein vermeiden, am Verfassungsgericht werde nur platte Parteirechtsprechung betrieben. Vielleicht wollte er aber auch der Föderalismuskommission, die derzeit über die Weiterentwicklung des Bundesstaats berät, den Ernst der Lage verdeutlichen.

Eine schnelle Korrektur ist allerdings auch von der Föderalismuskommission nicht zu erwarten. Dort geht es vor allem darum, die Blockademöglichkeiten des Bundesrats zu reduzieren. Zum Ausgleich sollen die Länder Materien wie das Jagdrecht zur ausschließlichen Gestaltung erhalten. In diesem Kontext ist es kaum vorstellbar, dass die 1994 beschlossene Stärkung der Länder in der konkurrierenden Gesetzgebung wieder rückgängig gemacht wird. Deutschland muss wohl damit leben, dass künftig bei jedem umstrittenen Bundesgesetz die Kompetenz des Bundes bestritten wird – und bis zu einem klärenden Karlsruher Urteil jahrelange Unsicherheit herrscht.