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Archiv-Artikel

„Eine Nation im Krieg“

Angesichts ständiger Guerillaüberfälle und Anschläge erklären die USA den Irak zum neuen Schlachtfeld im Antiterrorkrieg

von ERIC CHAUVISTRÉ

Für Präsident George W. Bush sollte der Blitzkrieg im Irak zum Höhepunkt seiner Präsidentschaft werden. Doch inzwischen ist die Öffentlichkeitsabteilung des Pentagon vor allem mit der Verbreitung von Todesnachrichten beschäftigt. Die Mehrzahl der Pressemitteilungen ist mit „Department of Defense Identifies Army Casualty“ überschrieben. Nach inoffiziellen Angaben der US-Streitkräfte im Irak gibt es jeden Tag durchschittlich zwölf Angriffe auf US-Kolonnen.

Seit dem verheerenden Anschlag auf die UN-Zentrale in Bagdad berichten US-Journalisten vermehrt über Angst und Zweifel unter den Streitkräften der Besatzungsmächte. Die Eskalation der Gewalt durch eine Art Guerillakrieg scheint in einigen Teilen des Landes längst Realität. „Wir sind eine Nation im Krieg“, resümmierte US-Generalstabschef Richard Myers am Wochenende – fast vier Monate nachdem sein Präsident die „Hauptkampfhandlungen“ für beendet erklärt hatte.

Der oberste Feldherr selbst droht deshalb im eigenen Land in die Defensive zu geraten. Einer gestern veröffentlichten Umfrage des Nachrichtenmagazins Newsweek zufolge befürworten nur noch 44 Prozent der US-Bürger eine zweite Amtszeit von George W. Bush. Die Zahl der Gegner ist auf einen Anteil von 49 Prozent gewachsen. Der Präsident ist durch die ständigen Angriffe auf US-Soldaten zunehmend auch der Kritik aus dem eigenen Lager ausgesetzt.

Bush greit in dieser Situation auf die Sprache zurück, die ihn nach dem 11. September 2001 außenpolitisch so durchsetzungsfähig und innenpolitisch unanfechtbar gemacht hatte: „Wir werden den Krieg gegen den Terror weiterführen“, erklärte der Präsident am Wochenende. Wie damals teilt er die Welt auf in Verbündete und Terroristenfreunde, in Freunde und Feinde. Wieder stehen, so Bush, „alle Nationen dieser Welt“ vor einer „Herausforderung und einer Wahl“. Zumindest in einer Hinsicht war der Irakfeldzug also ein voller Erfolg: Der Irak ist nachträglich zu dem geworden, wofür Bush das Land ohnehin stets gehalten hat: zu einem Aktionsfeld für Terroristen.

Auch „Centcom“-Kommandeur John Abizaid erklärt jetzt, der Irak stünde „im Zentrum des weltweiten Krieges gegen den Terrorismus“. Und Paul Bremer, der US-Verwalter in Bagdad, bezeichnet Irak nun als neues Schlachtfeld gegen den Terrorismus. Seit April würden immer mehr ausländische Terroristen in das Land eindringen, so Bremer. Offenbar auch Gruppen mit engen Verbindungen zu al-Qaida, wie das gestern bekannt gewordene Schreiben vermuten lässt, in dem eine Gruppe „Abu Hafis el Masri“ sich zu dem Anschlag auf die UN-Zentrale bekennt und ihn als eine „Lektion für die USA“ bezeichnet.

Der einst gefeierte Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, der mit dem Irakfeldzug der Welt demonstrieren wollte, wie die USA mit einer relativ kleinen Streitmacht einen Blitzkrieg führt, hält sich aus der Debatte über die Konsequenzen dieser Situation heraus. Gefragt, ob er mehr Truppen in den Irak schicken wolle, versteckt sich Rumsfeld hinter seinen Militärs. Wenn es „Centcom“-Chef Abizaid für notwendig halte, so der smarte Pentagon-Chef, werde er sebstverständlich die notwendigen Kräfte bekommen.

Noch verweist Abizaid bei der Frage nach mehr Truppen auf die Unterstützung durch irakische Polizeikräfte. Um diese Truppe weiter auszubauen, plant die US-Regierung nach Informationen der New York Times nun, insgesamt 28.000 Iraker zu Polizisten auszubilden – nicht im Irak, sondern in einem ehemaligen sowjetischen Militärgelände in Ungarn. Die Genehmigung der Regierung in Budapest läge dafür bereits vor. Auch auf die bereits 20.000 Mann von verbündeten Truppen im Irak verweist Abizaid, und lässt offen, ob weitere Truppen, seien es ausländische oder irakische, zu einer Reduzierung der US-amerikanischen Präsenz führen könnte.

Im US-Kongress gibt es dagegen konkretere Vorstellungen über eine Aufrüstung im Irak. John McCain, einflussreicher Republikaner im Senat, forderte am Wochenende die baldige Entsendung von etwa 18.000 Mann zusätzlich. John R. Biden, führender Außenpolitiker der Demokraten, sprach gar davon, dass wohl 40.000 bis 60.000 Mann Truppenverstärkung notwendig seien. Rumsfelds Traum vom Blitzkrieg mit kleinen, kaum verwundbaren Truppen dürfte vorerst ausgeträumt sein.