szenenapplaus
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Was die Welt der Arztbesuche betrifft, gilt es ja sorgfältig zu differenzieren. Denn es ist natürlich keineswegs dasselbe, ob man Augen-, Zahn- oder Ohrenarzt aufsucht. Aber es gibt sie durchaus noch, die harmlosen Arztbesuche, bei denen die Wartezimmer menschenwürdig geschmückt sind mit Fotos, die man tatsächlich noch nie zuvor sah und die einem die Wartezeit nicht durch Zahnarzt-Kreissägenakustik vergällen.

Obwohl das mit der Wartezimmer-Einrichtung schon so eine Sache ist: Was mag etwa einen ungenannten Hamburger Heiler bewogen haben, das gesamte Wartezimmer nicht nur bis auf den nackten Beton sämtlichen Zierrats zu entkleiden, sondern die so entzauberte Decke alsdann mit 50 riesigen Ikea-Kugellampen auszustatten?

Studien über Studien wären da zu betreiben, die einem kaum noch Zeit ließen für den Genuss der Kommentare der Mitwartenden, deren einige – besonders, wenn paarweise auftretend – durchaus als bühnenreif gelten können. Nehmen wir zum Beispel jenes ältere Ehepaar, das von den Helferinnen-Worten „Wollen Sie getrennt oder zusammen zum Doktor?“ empfangen wird (warum sich der Arzt beim Patienten-Aufruf selbst penetrant als „Doktor“ bezeichnet, soll hier nicht erörtert werden). „Zusammen“, flötet die alte Dame. „Was! Dann weißt Du ja, was ich habe!“ empört sich der Alte. „Das weiß ich sowieso schon!“, kontert süffisant die Frau; vermutlich weiß sie es viele Jahre schon, und die Störung ist eher sozialer als medizinischer Art. „Ach“, sagt da der Mann, angelegentlich aus dem Fenster blickend, „mal schauen, ob da jemand in unserer Wohnung gegenüber ist. Da will ich doch mal winken.“

Ein recht durchsichtiges Ablenkungsmanöver, von dem er sich auch durch den Einwurf eines Mitwartenden nicht abhalten lässt, das sei doch wohl gar nicht so gut, wenn dort drüben jetzt jemand Fremdes wäre. „Na, das wär aber doch schön, wenn man eine Oma zum Aufpassen hätte“, sagt der Alte, jetzt schon ein bisschen verheddert. Doch, gottlob, seine Dame ist derlei Flugmanöver gewöhnt: „Aber wir sind doch selbst schon lange Omas“, ruft sie fröhlich von hinten. Ist noch mal ganz knapp wieder auf dem Boden der Realität gelandet, das liebenreizende Paar.

Petra Schellen