: Bush im barocken Garten
Zur Deutschlandpremiere von „Fahrenheit 9/11“ drängelten sich Mittwochabend 2.000 Menschen im Schlossgarten Charlottenburg. Prominente kamen entweder gar nicht oder waren enttäuscht
von PHILIPP GESSLER
So billig war eine politische Gesinnung selten zu haben – man musste nur anstehen. Das allerdings, zugegeben, ziemlich lange, bis man bei der Deutschlandpremiere von Michael Moores Dokumentarfilm „Fahrenheit 9/11“ am Mittwochabend im neuen Open-Air-Kino im Hof des Schlosses Charlottenburg dabei sein konnte. Die Schlange der Wartenden erinnerte in ihrer verbissenen Länge ein wenig an die vor der MoMA-Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie. Dass Berliner das Erleben ihrer eigenen Masse genießen, unabhängig von Alter und politischer Ausrichtung, ist schon ein Klischee. Aber wer sagt, dass nicht manchmal etwas dran ist an Klischees?
Womit wir bei Moores filmischer Anti-Bush-Polemik wären, ausgezeichnet mit der Goldenen Palme beim Filmfestival in Cannes. Etwas von diesem Glamour will wohl auch der Verleih des Films vor dem Barockschloss verbreiten. Immerhin läuft die Dokumentation mit 200 Kopien in Deutschland an. Es ist die höchste Startauflage eines Dokumentarfilms in der Geschichte der Bundesrepublik. Ein roter Teppich, einige Kameras und Absperrungen sollen offenbar ein paar Promis und Starfucker anlocken.
Den Veranstaltern zufolge sollen es 250 Ehrengäste gewesen sein – aber die Prominentendichte lässt stark zu wünschen übrig. Die Kölner „Tatort“-Kommissare Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär im Doppelpack, Thomas Hermanns vom Quatsch Comedy Club und Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) sind schon die bekanntesten Nasen, die unter den rund 2.000 Zuschauer auszumachen sind. Angeblich waren die wahren celebrities an diesem Abend beim Friseur Udo Walz, der im Tipi nahe dem Kanzleramt zu einer Feier anlässlich seines 60. Geburtstages geladen hatte. Traurig die Stadt, die solche Promis nötig hat.
Immerhin, Klaus J. Behrendt, der dünne der beiden Kölner Kommissare, lässt sich vor Beginn des Films freundlich und unkompliziert ein paar Sätze über seine Erwartungen zur Moore-Dokumentation entlocken. „Bowling for Columbine“, dessen vorheriger Film, habe ihm sehr gut gefallen, sagt der Schauspieler, deshalb sei er hier zur Premiere gekommen. Ob Moores Filme nicht auch als antiamerikanisch zu verstehen seien? „Was ist antiamerikanisch?“, fragt Kollege Bär zurück.
Ähnlich sibyllinisch die Aussagen Trittins vor dem Filmstart. Er sei auf den Film gespannt, die USA seien die Wiege der Meinungsfreiheit und ähnlich Vorsichtiges lässt er heraus – überhaupt stürzen sich die vielen anwesenden Journalisten auf den armen Minister: Es gibt ja sonst kaum jemand Prominentes zu interviewen. Auch die Filmemacher Pepe Danquart und Peter Keglevic sollen zugegen gewesen sein. Aber jetzt mal ehrlich: Muss man Peter Keglevic kennen?
Langsam wird es dunkel, bald kann der Film beginnen. Vorne vor dem Tor haben Auslands-US-Bürger einen kleinen Wagen stehen, um Landsleute dazu zu bewegen, sich für die Präsidentenwahl im November registrieren zu lassen. Zwölf Leute hätten dies an diesem Abend getan, sagt Elsa Rassbach, eine der Organisatorinnen der Aktion. Sie meint, wahrscheinlich seien mehr US-Amerikaner vor den Kinos zu gewinnen, in denen der Film in der Originalversion oder mit Untertiteln laufe. Demokratie ist doch ein mühsames Geschäft.
Dann endlich der Beginn der Vorführung, die beständig abgenudelte „Wassermusik“ Händels stoppt. Ein paar warme Worte der Veranstalter (auch die barocken Bauherren der Anlage hätten sich damals nicht neuen Trends verschlossen – ach so), dann geht’s los – gleich mit der ersten Enttäuschung: Die Stimme des Erzählers im Film ist synchronisiert, das wirkt aufgesetzt und unpassend bei diesem uramerikanischen Film.
Ordentlich berlinerisch wird dafür sofort im Publikum rumgemault, ja gebrüllt. Es geht um den Ton, der für die hinteren Reihen zu leise ist, aber nach zirka fünf Minuten ist das Problem behoben. Oder liegt es daran, dass das Publikum immer schweigsamer wird, je länger der Film dauert?
Das Gegröle der ersten halben Stunde erstirbt langsam – und wahrscheinlich sind manche Längen des Films oder vielleicht auch nur die zunehmende Kälte der Grund dafür, dass sich nach und nach die Reihen lichten. Ist der Film zu spezifisch amerikanisch in seiner Intention oder einfach etwas zu platt, um die Zuschauer hierzulande zu begeistern? Naja, „Der Schuh des Manitu“ war ja wohl ein Kassenschlager.
Auf jeden Fall sind viele der Kommentare nach dem Ende der Vorführung gegen Mitternacht ziemlich verhalten. Trittin, der zunächst nichts sagen will, zeigt sich später enttäuscht. Der Film sei „etwas sehr in die Länge gezogen“, Moores „Bowling“ habe ihm besser gefallen. Immerhin, dem Umweltminister ist es gelungen, mit einem Kinobesuch auch ein wenig Politik zu machen. Wer sagt, dass Politik keinen Spaß macht?