: Man kann sich nicht auf Vorrat rasieren
Finanzbedarf der Nordbank ist noch höher als die bekannten 13 Milliarden Euro: Eine weitere Milliarde wird kurzfristig fällig, bis 2011 nochmals drei Milliarden an Eigenkapital. Das aber fürchtet Schwarz-Grün in Hamburg – wo kurz danach gewählt wird
2003 fusionierten die Bundesländer Hamburg und Schleswig-Holstein ihre Landesbanken zum gemeinsamen Institut HSH Nordbank mit Sitz in Kiel und Hamburg. Sie soll als gemeinsame Landesbank vor allem die mittelständische Wirtschaft stützen. Zudem ist sie der weltweit größte Finanzierer von Schiffsneubauten, engagiert in der Logistiksparte sowie im inländischen Immobiliengeschäft. Im Geschäftsjahr 2007 betrug die Bilanzsumme etwa 204 Milliarden Euro, der Überschuss lag bei 285 Millionen. Davon flossen gut 86 Millionen Euro an Hamburg und knapp 83 Millionen an Schleswig-Holstein. Größter Aktionär ist Hamburg mit 30,41 Prozent, Schleswig-Holstein hält 29,10 Prozent und der schleswig-holsteinische Sparkassen- und Giroverband 14,82 Prozent. Seit 2006 ist eine Investorengruppe unter Führung der US-Investmentbank J. Cristopher Flowers mit 25,67 Prozent an der HSH Nordbank beteiligt. SMV
VON SVEN-MICHAEL VEIT
Der Ort hätte kaum besser gewählt werden können. Eine ehemalige Bankiersvilla an der Kieler Förde mit – laut Eigenwerbung – „inspirierendem aristokratischen Charme“: Das klingt erfolgversprechend. Und so kam das schleswig-holsteinische CDU-SPD-Kabinett bei seiner samstäglichen Krisensitzung im „Romantik Hotel Kieler Kaufmann“ denn auch zu einer wegweisenden Erkenntnis: „Es steht jetzt fest, dass wir uns selbst helfen müssen“, sagte Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) nach dem Treffen. Und zwar zügig.
Sollten Hamburg und Schleswig-Holstein bis zum morgigen Dienstag kein Rettungskonzept für ihre gemeinsame Landesbank HSH Nordbank vorweisen können, wird diese geschlossen. Am Mittwoch werde das Institut, das im Vorjahr 2,8 Milliarden Euro Defizit angehäuft hat, von der Bankenaufsicht (BaFin) „dichtgemacht“, wurde den Landesregierungen am Freitag im Berliner Bundesfinanzministerium unmissverständlich mitgeteilt.
Bei der Rettung aber sind Hamburg und Schleswig-Holstein auf sich allein gestellt. Weder der Bund noch die beiden kleineren Miteigentümer – der schleswig-holsteinische Sparkassenverband und der US-Investor Flowers (siehe Kasten) – wollen weiteres Geld in die Nordbank stecken. Deshalb wird die Rettung noch teurer als bisher bekannt: Wie die taz aus Hamburger Regierungskreisen erfuhr, wird die Wiederbelebung des Geldinstituts nicht 13 Milliarden Euro kosten, sondern kurzfristig bis zu 17 Milliarden Euro. Diese vier Milliarden setzen sich zusammen aus dem Aufkauf der Anteile von Flowers und Sparkassen sowie einer weiteren Erhöhung des Eigenkapitals.
In Rede steht zurzeit eine Finanzspritze von drei Milliarden Euro zur Sicherung der siebenprozentigen Kernkapitalquote der Nordbank. Zudem sollen die beiden Länder Staatsgarantien von zehn Milliarden Euro abgeben. Das sieht das Konzept von Nordbank-Chef Dirk Jens Nonnenmacher vor, das er vorige Woche den Landesregierungen und den Haushaltsausschüssen der beiden Landesparlamente in Hamburg präsentierte. So steht es auch in der etwa 50-seitigen Vorlage, welche nun im „Kieler Kaufmann“ für die entscheidende gemeinsame Kabinettssitzung der beiden Regierungen am Dienstag erarbeitet wurde. Was in diesem Papier nicht drinsteht: Wenn es schlecht läuft, ist das Geld in gut zwei Jahren weg.
Nach einem Worst-Case-Szenario des Nordbank-Vorstandes wäre die jetzige Erhöhung des Eigenkapitals um drei Milliarden Euro Ende 2011 schon wieder verprasst. Die Landesregierungen müssten dann erneut drei Milliarden Euro zuschießen. In diesem Kontext sei, so wird geraunt, eine Andeutung Nonnenmachers auf der Sitzung der Haushaltsausschüsse am vorigen Dienstag zu verstehen gewesen: Es stünden „drei sehr schwierige Jahre“ bevor, hatte der Bankchef prophezeit, erst 2012 könne „wieder normal verlaufen“.
Im Februar 2012 aber wird in Hamburg neu gewählt. Und niemand in der schwarz-grünen Koalition in der Hansestadt hat Interesse daran, im Herbst 2011 den steuerzahlenden WählerInnen zu erklären, dass sie die Nordbank erneut mit Milliardensummen aufpäppeln müssten.
Die politische Interessenlage in Schleswig-Holstein sieht anders aus. Dort wird im Mai nächsten Jahres gewählt, und CDU wie auch SPD möchten die Bevölkerung ungern mit noch astronomischeren Summen erschrecken. Eine zweite Tranche nach der Landtagswahl wäre der Koalition an der Förde da lieber. Deshalb sieht auch Schleswig-Holsteins Arbeitsminister Uwe Döring (SPD) kurzfristig keine Alternative. Sich jetzt auf etwas festzulegen, was in Monaten oder Jahren eintreten könnte, wäre müßig, orakelte Döring am Samstag: „Das käme dem Versuch gleich, sich auf Vorrat zu rasieren.“
Die vierte Milliarde müsste sogar kurzfristig aufgebracht werden. Die Sparkassen wollen im April eine stille Einlage von 105 Millionen Euro aus der Nordbank abziehen. Das sei vereinbarungsgemäß möglich, erklärte ein Sprecher. Zudem würden sei auch lieber ihre Anteile verkaufen, als Eigenkapital einzubringen. Hamburg und Schleswig-Holstein haben ein Vorkaufsrecht, der Kaufpreis dürfte bei etwa 350 Millionen Euro liegen. Bis zu 600 Millionen müssten für Flowers auf den Tisch gelegt werden. Die US-Bank könnte Veränderungen bei der Nordbank blockieren, da sie mit über 25 Prozent über eine Sperrminorität verfügt. Um sie rauszukaufen, müsste wohl ein politischer Preis gezahlt werden.
Kurzfristig dürften für die beiden Landesregierungen andere Punkte Priorität haben: Das Rettungskonzept, das sie morgen beschließen wollen, sieht als „zukunftsfähiges Geschäftsmodell“ vor, die Nordbank in eine gesunde „Kernbank“ und eine kranke „Abbaubank“ aufzuteilen. Das klinge einfacher, als es sei, räumte Carstensen am Samstag ein: „Wir stehen vor einer außerordentlich schwierigen Situation.“