: Der Schiedsrichter als Sündenbock
Zwei falsche Schiri-Entscheidungen – damit will manch einer die Niederlage von Hertha BSC Berlin gegen den VfB Wolfsburg erklären. Doch Trainer Lucien Fabre bleibt gelassen. Wie der Ex-Tabellenführer versucht, das unglückliche 1:2 zu verarbeiten
Hertha BSC – VfB Wolfsburg: 1:2 (0:0)
Die Tore: für Hertha – Cicero (62. Minute), für Wolfsburg – Edin Dzeko (73. und 84.)
Die Stimme von Josip Simunic: „Was soll ich sagen, das Gegentor war ein Witz. In der Situation zuvor wird gegen uns gepfiffen, und diese Aktion wird laufengelassen. Aber das Leben geht weiter!“
VON PETER UNFRIED
Es ist eine große psychologische Entlastung für Fußballer, wenn der Schiedsrichter schuld gewesen sein könnte. Aber es ist auch gefährlich, weil es die Verantwortung delegiert. Insofern haben die Verantwortlichen von Hertha BSC Berlin gut daran getan, die Rolle des Knut Kircher beim 1:2 in Wolfsburg nicht überzubetonen.
Kircher vom TSV Hirschau lag in seinem 117. Bundesligaspiel nicht nur aus Berliner Sicht zweimal falsch, als er einem Treffer des Herthaners Cicero die Anerkennung verweigerte, im Gegenzug aber das Wolfsburger Siegtor von Dzeko durchwinkte. Mit „zweierlei Maß“ sei da gemessen worden, knurrte Kapitän Arne Friedrich. Auch Fernsehkameras und Beteiligte taten sich schwer, im einen Fall ein Hertha-Foul von Rodnei an Madlung zu finden (Madlung: „Das muss man nicht pfeifen“). Und unterstützten im anderen Fall die Angabe von Josip Simunic, dass er nur deshalb in die Knie gegangen sei, weil ihn Dzeko klar gefoult habe. „Nur ein Blinder sieht so etwas nicht“, zischte er, bevor er sich zu der Formel durchrang, die dann auch Trainer Lucien Favre, leicht angesäuert, aber mannhaft übernahm: „Es ist vorbei.“
Zwar sei es „hart“, sagte der Schweizer, aber es gebe „keine andere Lösung, als das zu akzeptieren.“ Der Vorstandsvorsitzende Dieter Hoeneß hatte noch in der Mixed-Zone die Strategie der Deeskalation eingeleitet, als er festlegte, dass das Pfeifen für und gegen Hertha in dieser Saison bisher „im Großen und Ganzen in Ordnung“ gewesen sei, und „Herr Kircher eigentlich ein guter Schiedsrichter“ sei. Die Tabellenführung ist zwar nach einem Spieltag bereits wieder futsch, doch die Situation ist weiterhin dermaßen offen, dass Hertha ein Sieg kommenden Samstag gegen Mönchengladbach bereits wieder an die Spitze zurückbringen könnte.
Wenn man das Spiel in der VW-Arena analysiert, so kann man positiv verbuchen, dass Herthas Defensive den VfL Wolfsburg, der bisher zuhause sein Spiel souverän durchzog, mit dem üblichen Fleiß und guter Abstimmung lange abgeschaltet hatte. Wolfsburg war 70 Minuten lang im Sinne des Wortes chancenlos. Nach Ciceros sechstem Saisontor zum 1:0 (62.) nach einem missglückten Abwurf von VfL-Torhüter Lenz, schien Berlin auch ohne Pantelic und Kacar souverän die Tabellenspitze zu verteidigen.
Dass es nicht so kam, und damit sind wir beim Negativen, lag dann nicht allein am Schiedsrichter. „Wir hatten so viele Chancen wie noch nie in einem Auswärtsspiel“, sagte Favre – auch noch nach Dzekos Ausgleich (72.) – aber man nutzte sie nicht. Stattdessen öffnete man die Flanken für Angriffe der Wolfsburger, stattdessen ließ die Innenverteidigung Friedrich-Simunic zwei Kopfballtore von Dzeko zu. „40 Flanken konnten sie machen“, sagte Favre mit Blick auf die Spielstatistik und schüttelte so heftig den Kopf, dass klar war: Das fand er ganz und gar nicht gut.
Für den VfL Wolfsburg war es der 9.Sieg im 10. Heimspiel. Man hat damit 10 von 12 möglichen Rückrundenpunkten geholt und ist zu einem direkten Konkurrenten von Hertha BSC geworden. Trainer Felix Magath nannte den Sieg „nicht unverdient“. Zwar fand er, dass Hertha „von der Spielanlage her die reifere Mannschaft“ gewesen sei, die große Stärke seines Teams aber sei, „dass wir immer in der Lage sind, Druck zu machen, wenn wir vom Ergebnis her in die Pflicht geraten.“ Was das Entstehen des Siegtors angehe, so habe er, Magath, nicht erkennen können, „aus welchem Grund“, Simunic in die Knie gegangen sei. Wie meist bei Magath, weiß man nicht, ob er das Ernst oder ironisch gemeint hat. Todernst dagegen schien es jenen Hertha-Anhängern zu sein, die nach 65 Minuten ein „Deutscher Meister – BSC“ anstimmten. Kurz darauf verstummten sie. Noch weiß keiner, ob für immer.