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Archiv-Artikel

Leichen pflastern seinen Weg

Wenn Kripo und Rechtsmediziner in einem Mordfall nicht weiter wissen, tritt der Kölner Biologe Mark Benecke auf den Plan. Insekten liefern ihm Daten zur Feststellung von Todesursache und -zeitpunkt

Von Marika Dresselhaus

Tatort Kölner Stadtwald, Sommer 2003: Eine männliche Leiche hängt, offenbar mit dem eigenen Gürtel stranguliert, an einem Baum. Ein dichtes, weißlich-glitzerndes Gewimmel von Schmeißfliegenlarven in Nase, Ohren und Augenhöhlen haben Kopf und Gesicht des Toten weitgehend entstellt. Die Kripo geht zunächst von Selbstmord aus. Doch dann entdecken die Beamten unterm Kinn sowie am rechten Arm Schusswaffenlauf große Hautverfärbungen, die auf eine mögliche Gewalttat hinweisen. Ein klassischer Fall für Mark Benecke.

Der Kriminalbiologe Mark Benecke ist einer der weltweit gefragtesten Fachleute auf dem Gebiet der biologischen Spurensicherung. Der 33-jährige Kölner ist nicht nur Experte für Käferfraß an Leichen, Blutspurensicherung und den Nachweis von genetischen Fingerabdrücken – er kennt sich auch mit Vampiren aus. Der Kölner arbeitet seit zehn Jahren als Kriminalbiologe. Er tritt immer dann auf den Plan, wenn Kripo und Rechtsmediziner mit ihrem Latein am Ende sind, weil die Leiche entweder schon zu stark verwest ist, Blutspuren nicht erklärbar sind oder zur Beweissicherung genetische Fingerabdrücke genommen werden müssen.

Als Benecke den Toten im Stadtwald untersucht, entdeckt er überall am Körper blau-violette oder bräunliche Hautverfärbungen. Dem Biologen ist sofort klar: Es handelt sich keinesfalls um Schussverletzungen, sondern um gemeine Aaskäferlarven, die sich bei der sengenden Hitze unter der Haut des Leichnams eingenistet haben, um sich durchzufressen.

Insekten wie Maden, Käfer oder auch Wespen liefern Benecke anhand ihrer artspezifischen Lebenszyklen wie zum Beispiel Dauer des Verpuppungsstadiums oder ihrer jeweiligen Ernährungsgewohnheiten oft die entscheidenden Daten zur Feststellung von Todesursache, -ort oder auch -zeitpunkt. „Ist eine Leiche mit Schmeißfliegen übersät, dann weiß ich: Der Mensch kann noch nicht lange tot sein. Denn diese Insektenart geht als erste auf Frischfleisch“, erklärt Benecke.

Allerdings sind die maßgeblichen biologischen Gesetzmäßigkeiten immer auch witterungsabhängig. So musste der Gutachter im vergangenen Sommer zu skurril anmutenden Methoden greifen. „Ich hab beim Metzger drei Schweinsköpfe gekauft und sie am Tatort ausgelegt. So konnte ich den Insektenbefall über mehrere Stunden beobachten und über die Auswertung den genauen Todeszeitpunkt des Opfers feststellen. Das Ergebnis war ziemlich überraschend: Obwohl die Person schon sehr stark zersetzt war, hatte sie am Abend zuvor noch gelebt.“

Benecke ist ganz Profi. Ob eine halb verweste Leiche, mit der sich der Mörder noch monatelang die Wohnung geteilt hat, ein blutüberströmter, weil erstochen und vergewaltigter Frauenkörper oder ein verkohlter Mensch auf dem Fahrersitz eines ausgebrannten Autos – Benecke hat schon so ziemlich jede vorstellbare Spielart grauenhafter Tatortszenarien gesehen. Dementsprechend betrachtet der Sachverständige die menschlichen Überreste, die er untersucht, auch als rein wissenschaftliche Analyseobjekte. „Gefühle wie Ekel, Abscheu oder Mitleid sind in solchen Situationen völlig fehl am Platz. Da muss man einfach abstrahieren. Würde ich Emotionen an mich ran lassen, könnte ich meinen Job nicht machen“, erklärt Benecke. Für ihn liegt der Reiz darin, den logischen Knoten eines ungeklärten Sachverhalts zu lösen und diesen wissenschaftlich stichhaltig zu belegen. „Ich mache das nicht, um mit meinen Beweisen irgendwelche ‚bösen‘ Mörder zu überführen. Ich will nur die Wahrheit ans Licht bringen.“

Um seinen ganz persönlichen Anspruch immer wieder aufs Neue zu erfüllen, lässt sich Benecke auch schon mal nachts aus dem Schlaf klingeln. Für die Kripo ist er rund um die Uhr mobil erreichbar. Nur ein Handgriff und der Gutachter hat die wichtigsten, an seinem Hüftgürtel befestigten Arbeitsmittel umgeschnallt: eine starke Kaltlichttaschenlampe, deren gleichförmiges Licht hochwertige Fotos mit der Digicam ermöglicht, eine Pinzette, Handschuhe, ein Maßband und ein Taschenrechner, mit dem er gegebenenfalls über die Größe einer Blutlache auch deren Spritzwinkel errechnen kann.

Die Hälfte seiner Arbeitszeit machen Kriminalgutachten aus. In der übrigen Zeit jettet Benecke, der Ende der 90er Jahre als Wissenschaftler in New York gearbeitet hat, schon seit Jahren für Forschung und Medien quer über den Globus. Als Gastprofessor hält er zum Beispiel Vorträge über den Ursprung des Vampirglaubens oder gibt Spurensicherungskurse für Kripobeamte. Hin und wieder übernimmt er auch Fälle, bei denen Angehörige von angeblich unschuldig Verurteilten ihn darum bitten, neue Sachbeweise zu finden, um eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu erwirken. „Das reizt mich aber eigentlich nur, weil solche Fälle meist ganz besonders kniffelig sind“, erklärt Benecke mit glänzenden Augen, fügt dann aber hinzu: „Denn verdienen kann ich damit so gut wie nichts. Alles in allem bin ich als Freiberufler ohnehin froh, wenn ich die Miete für den laufenden Monat zusammenkriege.“

Doch auch Geldmangel und Jetlag bedingtes Schlafdefizit scheinen Beneckes Jobleidenschaft nicht zu bremsen. Dafür ist der Leichen-Profiler einfach zu abenteuerlustig. Für seinen neuesten Fall war er gerade wieder in Rumänien. Dort hat er in einem kleinen Dorf eine kürzlich exhumierte Leiche untersucht, der die Bewohner einen Pflock durchs Herz gerammt hatten. Die Frage an den Wissenschaftler: „Handelt es sich um einen echten Vampir?“