: Erinnerung im halben Denkmal
Vom „denkmalgerechten“ Umbau beim Olympiastadion spürt der Besucher im Innern der Arena kaum etwas. Hightech überlagert die nationalsozialistische Architektursprache. Nun sollen 35 Texttafeln den „historischen Kommentar“ liefern und beim richtigen Erinnern helfen. Aufklärung soll hier als Teil der Sanierung fungieren
VON ROLF LAUTENSCHLÄGER
Als Günter Behnisch, Architekt des Münchner Olympiastadions von 1972, von Landeschef Edmund Stoiber vor Jahren gedrängt wurde, eine Modernisierung des zeltartigen Stadions mit steileren Tribünen zu planen, lehnte er ab. Die berühmte Arena, so der Architekt, bilde eine bauliche Chiffre der 70er-Jahre, deren Konzept auch als Gegenentwurf zum Berliner Olympiastadion von 1936 gedacht war. Leichtigkeit, weiche Formen und Linien gegen die steinerne Monumentalität des NS-Baus in Berlin. Nein, das Münchner Stadion dürfe nicht verändert werden, zu groß wäre der Verlust an der Idee bundesrepublikanischer Baukunst jener Zeit.
Während die Münchner sich entschieden, eine neue Fußballarena zu bauen und das Behnisch-Stadion nicht anzutasten, verhielt man sich in Berlin weniger rigoros. Vom „denkmalgerechten“ Umbau des Olympiastadions für rund 240 Millionen Euro spürt der Besucher im Innern der Arena kaum etwas. Das neue Dach überdeckt im doppelten Wortsinn die einstige Inszenierung von Architektur und Natur. Das Pathos nationalsozialistischer Architektursprache ist von der deutlichen Modernisierung zurückgedrängt. Von Hightech überlagert. Zu Recht spricht der Ingenieur Volkwin Marg vom „neuen Geist“ des Olympiastadions durch den Umbau.
Der „alte Geist“ in Gestalt von Form und Fassade sitzt darum nur noch in einem halben Denkmal. Wohl genau darum haben das Land Berlin und der zukünftige Betreiber Walter Bau es für wichtig erachtet, zur Erinnerung an die gesamte Geschichte des Bauwerks seit 1916 eine Zeitreise zurück in die historischen Schichten des Sportbaus zu inszenieren – sozusagen als eine notwendige Störung der Modernisierung und als Tribut an eines der größten erhaltenen Baudokumente aus der Zeit des Nationalsozialismus.
Als „historische Kommentierung“ bezeichnet die Berliner Sportverwaltung die Errichtung von rund 35 Tafeln, die einen „Geschichtspfad“ quer durch das Stadion bilden. Vom Eingang am Olympischen Tor bis hinüber zum Marathon-Tor an der Westseite des Ovals erfahren die Besucher, dass der von Werner March 1936 erbaute Kessel ebenso Kulissencharakter für die Nazis bildete wie das Maifeld – Aufmarschgelände für politische Kundgebungen. Zugleich informieren die Tafeln über das faschistische Kunstprogramm rund um das Stadion – über die aufgestellten Figurengruppen, den bronzenen Dreifuß für das olympische Feuer oder die Reliefs mit den Namen der Olympiasieger.
Zusätzlich wird bis Herbst 2004 an einem „Ort der Information“ (Arbeitstitel) auf dem Olympischen Platz in Form einer Stele gebastelt, an der auf eingelassenen Monitoren eine Gesamtübersicht der Spiele von 1936, der Sportgeschichte und der Nachkriegsgeschichte des Bauwerks abgerufen werden kann. Der Informationscounter wurde nach einem Wettbewerb von den Berliner Künstlern Zerr/Hapke/Nieländer entworfen und soll die Geschichte des Stadions außer durch Text- auch mit Bildmaterial ergänzen.
Die Tafeln, die von einer unabhängigen wissenschaftlichen Kommission und einem Beirat für den Senat entwickelt wurden, standen nicht von Beginn an auf der Agenda für das sanierte Olympiagelände. Historiker, Geschichtsinitiativen, Architekten und Denkmalexperten hatten lange darauf drängen müssen, die Aufklärung über die politische und sportliche Geschichte des Areals als Teil der Sanierung zu sehen. Der Bauherr, das Land Berlin, und der Betreiber mussten erst auf das „Erinnerungsfeld“ gestoßen werden – und haben das erst halbherzig erfüllt. So „appelliert“ der wissenschaftliche Beirat an den Senat, die Kommentierung „über das gesamte Olympiagelände“ fortzuführen – also auch bezogen auf das Maifeld, die Langemarckhalle, das Hockeystadion und das Deutsche Sportforum und weiter auf die Rolle des Stadions während des Zweiten Weltkriegs und die Jahre des Olympiageländes unter britischer Militärkontrolle bis 1994.
Der Motor für die Komplettierung – besser die Finanzierung – des Geschichtspfades und zwei weitere Projekte, so hofft man in Berlin, könnte die 2006 stattfindende Fußballweltmeisterschaft sein. Fließt Geld von Sportminister Otto Schily, plant das Land, das Besucherzentrum am Glockenturm neu und die düstere Langemarckhalle darunter als Ausstellungsort für Wechselausstellungen zu gestalten. Ebenso wäre das ein Signal, endlich das Sportmuseum in den Räumen des Deutschen Sportforums unterzubringen. Erst dann wäre die Dokumentation und Aufklärung zu einem Ort, der seit 1936 zu den Schwerpunkten sportlicher, politischer und kultureller Geschichte Berlins gehört, umfassend dargestellt.