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Archiv-Artikel

Sein Kreuz mit den Frauen

Papst Johannes Paul II. geißelt den „weltweiten Feminismus“ und rechnet mit der Gender-Theorie ab. Sein Ziel: die römisch-katholische Kirche für den Wettkampf mit dem Islam zu positionieren

VON MARTIN REICHERT

Wie das neue Verlautbarungsorgan des Vatikans, die Bild-Zeitung, gestern meldete, hat Papst Johannes Paul II. in einem neuen Schreiben den „weltweiten Feminismus“ kritisiert. In dem erst heute offiziell veröffentlichten 37-seitigen „Brief über die Zusammenarbeit von Mann und Frau in der Weltkirche“, der Bild bereits gestern vorlag, macht der Vatikan dem „Feminismus“ zum Vorwurf, die biologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau abzuschaffen. Zudem appelliert er an die Regierungen, Bedingungen zu schaffen, unter denen „Frauen ihre Pflichten in der Familie“ nicht vernachlässigen müssen, wenn sie berufstätig sind. Laut Bild geht der Brief auch erneut auf das Thema Homosexualität ein. In einem Kapitel werde daran erinnert, dass Gott „eine christliche Ehe“ gewollt habe, also eine Ehe zwischen Mann und Frau.

Natürlich darf ein Seitenhieb auf die „Anomalien“ nicht fehlen, ohne die jene „Normalität“ der Geschlechter gar nicht stattfinden kann, die in dem Papier beschworen wird. Und natürlich wurde es von der römischen Glaubenskongregation unter Kardinal Josef Ratzinger verfasst, jenem obersten Chef der Inquisition, der wie kein anderer die Homo-Ehe und den weiblichen Anspruch auf das Priesteramt niederzuringen versucht. Ratzinger liegt schon lange im Clinch mit dem postmodernen Geschlechterwirrwarr, jetzt scheinen ihm die Werke der amerikanischen Gender-Forscherin Judith Butler in die Finger geraten zu sein oder gar Beatriz Preciados „Kontrasexuelles Manifest“. Die Spanierin Preciado erhebt in ihrem Pamphlet die Queer Theory zur Doktrin eines Staates, in dem die Geschlechter abgeschafft werden und Sexualität von sämtlichen Fortpflanzungsaktivitäten getrennt wird.

Es ist nicht der „Feminismus“ im klassischen Sinne, den Ratzinger im Auge hat, sondern die aus ihm heraus entstandene Gender- und Queer-Theory, die von einer sozialen oder psychologischen Konstruktion der Geschlechter ausgeht und dementsprechend den „biologischen Unterschied“ zwischen Mann und Frau nicht anerkennt, sondern dekonstruiert und „abschafft“. In Form der Gender-Studies hat sich diese Philosopie nicht nur an den Universitäten etabliert. Die rot-grüne Bundesregierung hatte „Gender Mainstreaming“ 1999 sogar zum durchgängigen Leitprinzip des Regierungshandelns gemacht.

Verständlich, dass der Vatikan den weltlichen Regierungen ganz andere Leitprinzipien aufdrängen möchte. Der Dekonstruktivismus, integraler Bestandteil der Queer-Theory, erscheint Josef Kardinal Ratzinger als Ausgeburt einer „erkrankten Vernunft“. In der FAZ geißelte er vor kurzem erneut die neomarxistisch angehauchte Philosophie der Postmoderne: „Eine Vernunft, die nur noch sich selber und das empirisch Gewisse anerkennen kann, lähmt und zersetzt sich selber.“

Es ist jedoch weniger die Angst vor marxistischen Umtrieben, die Ratzinger erzittern lässt, es ist vielmehr die Bedrohung durch den Islam. Die weltweit vitalste und populärste Religion bietet den Menschen vieles, was in den modernen westlichen Gesellschaften verloren gegangen oder ins Rutschen geraten ist, unter anderem offeriert er eine Rückversicherung in Fragen der Geschlechteridentitäten. Im Islam ist der Mann noch Mann, die Frau noch Frau. Eine Vorstellung, die auch den BewohnerInnen einer von zunehmendem Unbehagen und Entfremdung geprägten westlichen Gesellschaft durchaus attraktiv erscheint.

Die Glaubenskongregation ist offensichtlich zu der Erkenntnis gelangt, dass es absolut falsch wäre, in das Horn der Modernisierung zu blasen. Stattdessen fordert sie die westlichen Regierungen auf, die Reihen zu schließen, um dem Untergang des bedrohten christlichen Abendlandes entgegenzuwirken. Ratzinger glaubt zu wissen, dass ein laizistischer Staat auf Dauer dem Druck der politischen Theokratien nicht standhalten könne und fordert eine Aufladung mit christlichen Werten, inklusive den von der Kirche tradierten Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit.

Der Vatikan liegt mit seiner Auffassung sogar im gesellschaftlichen Mainstream, denn der Biologismus, der eine kausale Verknüpfung zwischen genetischem Material und männlichen/weiblichen Eigenschaften herstellt, befindet sich schon seit längerem auf dem Vormarsch. „Warum Männer nicht zuhören und Frauen nicht einparken können“ lautet der Titel des Bestseller von Allan und Barbara Peas, der weltweit auf den Nachttischen liegt und mit seinen biologistischen Thesen die Geschlechterunterschiede festschreibt. „Alles genetisch“ ist schwer im Trend, und die Gene hat ja schließlich der liebe Gott geschaffen.

Auch wenn er wollte, was fraglich erscheint, könnte der Vatikan gar nicht anders. Eine Liberalisierung in Geschlechterfragen, ob es nun um Homosexualität oder Frauen im Priesteramt geht, würde die Kirche einer Zerreißprobe aussetzen, denn ihre Hauptzielgruppe befindet sich längst jenseits der libertinären Industrienationen. Gender-Mainstreaming gibt es in Entwicklungsländern – noch – nicht.