Testosteron-Demokratur USA

Falls es irgendjemand tatsächlich immer noch nicht gemerkt haben sollte: John Kerry ist ein Kriegsheld, ein Kriegsheld, ein Kriegsheld … Grüße von der Heimatfront (8)

Der Testosteron-faktor hat weniger mit Männlichkeit zu tun als mit der Angst um dieselbe

Seit dem Parteitag der Demokraten ist klar: John Kerrys Orden reichen für zwei – notfalls auch für John Edwards. Der bringt zwar Charisma in den Wahlkampf und begeistert die Wählerinnen. Aber er hat erstens nie gedient und zweitens ein hübsches Gesicht, weswegen ihm die Republikaner den Spitznamen „Breck Girl“ verpasst haben. „Breck“ ist eine Shampoomarke.

George W. Bush hat zwar keine Orden in der Schublade, kann aber sehr breitbeinig laufen, vor allem in der Uniform eines Bomberpiloten, deren Gurte einen eher kleinen Teil des männlichen Körpers sehr groß erscheinen lassen können. Davon wird gleich noch zu reden sein.

Auch Dick Cheney hat nie gedient. Das macht aber nichts. Erstens käme niemand auf die Idee, ihm ein hübsches Gesicht zu bescheinigen; zweitens schleudert er oppositionellen Kongressabgeordneten ein sehr mannhaftes „Fuck you“ ins Gesicht, wenn diese nach der Rolle von Halliburton im Irak fragen.

Willkommen zum Endspurt des US-Wahlkampfs 2004, wo sich erweisen soll, wer die wahren Männer sind. Wenn es um den Nachweis von Machismo und Kriegstauglichkeit geht, haben es die Rechten überall auf der Welt leichter. Bei Präsidentschaftswahlen in den USA kommt noch ein spezifisch amerikanischer „Krieger“-Faktor dazu: In den Augen der WählerInnen muss der Kandidat nicht nur als Präsident taugen, sondern auch als Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Auch hier haben die Republikaner die Oberhand, seit die „langhaarigen Peaceniks“ der 60er- und 70er-Jahre vergebens ihre Heimat bei den Demokraten suchten.

Also präsentierte sich Kerry, der Kandidat der Kriegsskeptiker und -gegner, in den letzten vier Tagen als der heroische Soldat, als Mann, der fürs Vaterland getötet hat und zu sterben bereit war. In Deutschland, wo man sich neuerdings als Spielführer der „Friedensmacht Europa“ gefällt, mag man Kerrys Strategie befremdlich martialisch finden. Tatsächlich ist sie klug. Mehr noch: Sie ist die einzig mögliche Strategie, in Kriegszeiten einen Amtsinhaber zu schlagen, dessen immer noch erhebliche Popularität vor allem auf dem Testosteronfaktor beruht.

Der Testosteronfaktor hat wenig mit der vermeintlich urmännlichen Erfahrung Krieg zu tun. Er hat überhaupt weniger mit Männlichkeit zu tun als mit der Angst um dieselbe. Sehen wir uns George W. Bush noch einmal genauer an: Im Gegensatz zu Kerry hat er sich in jungen Jahren keine Beulen beim Eishockey geholt, sondern als Cheerleader Bierdosen geleert. Statt sich freiwillig an die Front zu melden, bummelte er Vietnam daheim in einer Einheit für Söhne reicher Texaner ab. Statt sich selbst eine Karriere zu zimmern, segelte er auf Daddys Flügeln bis ins Weiße Haus.

„All hat and no beef“, sagt man dazu in Texas. Viel Hut und nichts drunter. Diese nicht sehr präsidiale Biografie verschwand nach dem 11. September 2001 hinter der Inszenierung des konservativen Übermachos, der zum „Krieg gegen das Böse“ ruft, Ussama Bin Laden „tot oder lebendig“ haben will und zur Krönung wie Tom Cruise in „Top Gun“ mit gewölbtem Körbchen aus dem Cockpit eines Kampfbombers steigt. Die New Yorker Village Voice war damals die einzige Zeitung, die auf die Passform des Pilotenanzugs hinwies – und darauf, dass diese „männliche Version des Push-up-Bra“ von Bushs Medienteam gewollt war. Eigentlich war der Auftritt unfreiwillige Satire, aber das ändert nichts am begeisterten Beifall. „Der Machismo kommt in diesen Tagen deshalb so tragikomisch extrem daher“, schrieb die Village Voice, „weil so viele Männer um die Maskulinität fürchten.“ Bushs halbstarkes Gebaren, seine traditionell inszenierte Ehe und seine Abneigung gegen alles Intellektuelle finden Anklang bei vielen Männern wie Frauen, denen das Land in den letzten vierzig Jahren ökonomisch und kulturell aus den Fugen geraten ist.

Für die markierte der 11. September nicht nur den schlimmsten Terroranschlag auf US-Boden, sondern auch das Signal für die „Remaskulinisierung“ der Politik, für die Befreiung von internationalen und rechtsstaatlichen „Fesseln“, für den großen Auftritt des „Special Forces“-Präsidenten, der seinem Volk und dessen Parlament bestellte: „Geht shoppen und beten – den Rest besorgen wir.“ Nennen wir es die „Testosteron-Demokratur“.

Aber nun kommt John Kerry, der es nicht nötig hat, einen Cowboygang zu imitieren; der, anders als Bill Clinton, keine spätpubertäre Genusssucht ausstrahlt; der, wie man seit Donnerstag weiß, sehr wohl Reden halten kann; und der in Boston nicht nur seinen Vietnameinsatz preisen ließ, sondern auch seine Wandlung zum Kriegsgegner beschrieb. Was ihm die Republikaner in diesem Wahlkampf gern als latenten Defätismus ausgelegt hätten, hat Kerry der kriegsmüden Wählerschaft als Verheißung präsentiert: „Ich, der fronterprobte Soldat, weiß, was es heißt, verheizt zu werden. Ich hole euch aus dem Irakschlamassel wieder heraus.“

George W. Bushs immer noch erhebliche Popularität beruht vor allem auf dem Testosteronfaktor

Kerry war neben Wesley Clark von Anfang an die größte Sorge der Bush-Republikaner, weil er qua Biografie und Statur Bush und seinen Macho-Bluff bloßstellen kann. Also darf man sich in den nächsten Wochen auf einiges gefasst machen: Bushs Wahlkämpfer buddeln schon seit Monaten nach schmutziger Wäsche, um vor allem Kerrys Frau Teresa zu attackieren. Deren Reichtum und Neigung zu drastischer Aussprache (wenn auch nicht so schlimm wie bei Dick Cheney) sind Angriffspunkte, doch am Ende werden es beide Kandidaten bei den TV-Debatten unter sich ausmachen müssen.

Sollte Bush verlieren, ist das noch lange nicht das Ende der Testosteron-Garde. Deren neuer Star sitzt in der kalifornischen Hauptstadt Sacramento. Arnold Schwarzenegger ist trotz Muskelmasse zweifellos die Personifikation des „All hat and no beef“-Machos, aber anders als George W. Bush schützt ihn der Mythos des Terminators. Seine öffentlichen Auftritte sind denn auch oft begleitet von pompösen Videos, in denen seine Rolle als Gouverneur und Robocop ineinander verschnitten werden oder ein Stuntman in der bekannten schwarzen Lederkluft auf dem Motorrad auf die Bühne rollt. In seiner Inszenierung als Action-Gouverneur reduziert Schwarzenegger das kalifornische Parlament zunehmend auf eine Statistenversammlung, denunziert Kritiker als „Girlie Men“ – und erfreut sich bislang ungebrochener Beliebtheit. Eine Verfassungsänderung, die ihm als Einwanderer die Präsidentschaftskandidatur ermöglichen würde, kursiert inzwischen im Senat.

Aber das sind noch – man entschuldige die Formulierung – ungelegte Eier. Als Nächstes steht der Parteitag der Republikaner in New York bevor – und eine Serie von Protestdemonstrationen. In Manhattan fordern bereits Hausverwaltungen ihre Mieter auf Flugblättern auf, sich mit Nahrungsmitteln einzudecken und für die Dauer der Veranstaltung am besten zu Hause zu bleiben. Da fragt man sich dann doch, wer eigentlich in die Stadt kommt: der Terminator oder wirklich nur die Republikaner. ANDREA BÖHM