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Archiv-Artikel

„Hat für das Dorf Großes geleistet“

Vor 25 Jahren startete der erste Deutsche ins All: Sigmund Jähn. In der DDR wurde es als Triumph über den Westen gefeiert, gestern war das Jubliäum eher ein Ereignis für die heimatliche Dorfjugend. Aber für sie steht fest: „Sig“ ist ein Held

aus Morgenröthe-Rautenkranz MICHAEL BARTSCH

„Da ist der Sigmund Jähn. Ich hab ihn gesehen!“ Als der Langersehnte an diesem Schulprojekttag endlich aus dem großen schwarzen Peugeot steigt, kommt Bewegung in die zuvor eher zurückhaltenden Grundschüler. Wegen ihm waren sie schließlich extra zur Raumfahrtausstellung von Morgenröthe-Rautenkranz gereist. Jähn lässt Kameras und Mikrofone links liegen, begrüßt stattdessen Lehrerinnen und Dorfbewohner und wird gleich von einer Kindertraube umringt. Eine Stunde lang hat er mit Autogrammen und Preisverleihungen zu tun. Für ein Foto weicht er unter die Tragfläche „seiner“ MIG 21 aus, die vor dem Ausstellungsgebäude aufgebaut ist.

Vor genau 25 Jahren, am 26. August 1978, war Jähn mit dem sowjetischen Raumschiff Sojus 31 ins All gestartet. Er war damit der erste Deutsche im Weltraum, 125-mal umkreiste er die Erde. Für die DDR sollte er unter anderem Experimente der Materialwissenschaft durchführen und etwa Kristalle für die Halbleitertechnik züchten. Mit der „Multispektralkamera“ machte er Aufnahmen von der Erdoberfläche.

Selbstverständlich darf unter dem Ortsschild die Hinweistafel „Geburtsort des ersten deutschen Kosmonauten“ nicht fehlen. Aber von Jähn-Kult mag niemand mehr sprechen. „Das passt nicht zu ihm“, sagt nicht nur Margitta Günnel, die am Ort vier Jahrzehnte im Kinderheim tätig war. Auch Jähns früherer Schulkamerad Siegfried Schmiedel lehnt solche Vermarktungsbegriffe ab, „weil er ein ganz normaler Vogtländer geblieben ist“. Jähn selbst sagt im Rückblick auf seine Weltraumexkursion: „Keiner von uns hat sich als Held gefühlt.“ Ob denn überhaupt je zutreffend über ihn berichtet worden sei? „Natürlich nicht“, grinst der drahtige 66-Jährige verschmitzt.

Da widersprechen aber die Viertklässler, für sie ist Jähn ein Held, „weil er der erste Deutsche im All war!“ Für Markus, 16 Jahre, ist wichtig, dass Jähn aus dem Osten stammt. Und Philipp, ein Abiturient aus Morgenröthe, findet, dass Jähn „als Erster für das Dorf etwas Großes geleistet hat“. Er bekennt sich zum Wunsch nach Vorbildern, die müssten sein. Aber als „Kult“ will Philipp dies nun auch wieder nicht verstanden wissen. Das sei nach der Wende ja nicht mehr so extrem.

Doch noch immer gehört Jähn fest ins Repertoire der vogtländischen Grundschulen. Im Lesebuch gibt es zumindest einen Text vom Raumflug, und auch im Heimatkundeunterricht weisen viele Lehrer auf das Ereignis hin. Natürlich sind den meisten das „Jähnseits“, die „Multispektakelkamera“ und der Jubel von 1978 noch in Erinnerung. Aber zu einem gesamtdeutschen Helden habe es Jähn nach 1990 leider nicht gebracht, bedauern die Einheimischen. Touristen aus Nürnberg, die zufällig nach Morgenröthe geraten sind, staunen denn auch über den Rummel.

Die Raumfahrtausstellung, die einzige ihrer Art in Deutschland, wurde schon 1979 eingerichtet. Sie ist tatsächlich ein Kleinod, aber im ehemaligen Bahnhofsgebäude viel zu beengt untergebracht. Das Projekt eines „Raumfahrtparks“ nebenan scheiterte, weil dem Landkreis die Fördermittel fehlten. In der Ausstellung gibt es ein Mini-Cape-Canaveral mit zahlreichen Originalstücken zu sehen. Der wissenschaftliche Anspruch ist deutlich höher als in Florida. Der Videofilm ist das Einzige, was wirklich museal wirkt – ein sowjetisches Original, das inzwischen um einige Propagandapassagen bereinigt wurde.

Morgenröthe-Rautenkranz, sonst nur als deutscher Kältepol aus dem Wetterbericht bekannt, ist wirtschaftlich weitgehend auf die jährlich 50.000 Besucher der Ausstellung angewiesen. Ansonsten wurden viele Betriebe geschlossen und ein Kinderheim aufgelöst.