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Archiv-Artikel

Oh, oh, Olympia!

Fröhlicher Relaunch der Nazischüssel: Bei der Wiedereröffnung des Olympiastadions versammelten sich die Berliner unter ihrem neuen Emotionsdeckel

„Das wird gleich gaaanz hoch emotional“, scheint einer der neuen Lieblingssätze von Johannes B. Kerner zu sein. Die Fernsehnudel durfte sich am Samstagabend ein paar Tausender dazuverdienen, weil sich anscheinend kein Berliner Schnauzenträger finden ließ, der die Neueröffnung des Olympiastadions hätte moderieren können. In der gerelaunchten Nazischüssel saßen rund 53.000 Leute, um sich von Pink, Jim Avignon und Fußballern in Mercedes-Cabrios und eben JBK – ganz in Weiß, ohne Sponsorenaufdruck – hoch emotionalisieren lassen.

Auf solche Versuche reagiert auch der neue Gesamtberliner gern mit Gelassenheit. So war es Nena vergönnt, nach über einer Stunde Remmidemmi mit Fackelläufern, Politikern (Otto Schily bekam ein mittleres Pfeifkonzert, Bürgermeister Wowi ein etwas milderes), Hochspringerin Elfriede Kaun (bald 90, immer noch fit), den oberkörperbetonten Cheerleadern der Footballer von Berlin Thunder, einem Typ von der Walter Bau AG und ganz vielen Bauarbeitern endlich das Publikum zu beschimpfen.

Nena mühte sich wie eine Leichtathletin, als sie von der UFO-förmigen Bühne überm Anstoßpunkt des Spielfeldes auf den Rasen kommen wollte. Rannte wie von Wespen verfolgt über die herthablaue Tartanbahn, winkte mit dem kabellosen Mikro ins Tribünenvolk, dem leider die Zeilen von „99 Luftballons“ nicht geläufig waren. „Ist das Berlin oder nicht? Oder seid ihr zu alt, um den Text zu kennen?“, maulte die 4fache Mutter des neueren Schlagers. „Vielleicht ist der Song auch zu alt“, meinte dagegen mein Sitznachbar, der es geschafft hatte, sich mit seinem Bier im Plastikhenkelmann direkt neben den VIP-Bereich zu setzen. Hier hatte man eine prima Sicht auf grinsende Pseudoprominenz, die hoffte, auf die viel zu kleinen Großbildleinwände und damit auch ins Fernsehen zu kommen.

Überhaupt wirkte die überbordende Show wie fürs TV inszeniert. Im Stadion selbst verpuffte vieles, wie schon einst Mick Jagger und der Papst zu klein für die Gigantomanie waren. „Wo is diese komische Blue Men Group eigentlich?“, fragten die drei fröhlichen Mädchen hinter uns, die sogar bei Schily klatschten und so zu den Lieblingsschnittbildern des Kameramanns avancierten.

Irgendwann wünschte man sich einfach ein ganz normales Bundesligaspiel mit der Hertha-Krückentruppe. Aber es ging immer weiter mit der Konsensshow für ein Stadion, das auch „schwierige Zeiten“ erlebt hat, wie in einer Chronik zu Beginn der Einweihungsshow kryptisch vermerkt wurde. Ja, ja, die Zeit da um 1936, man weiß es alles nicht mehr so genau, was da schief lief im Sport und in Europa. Aber welch ein Glück, gab es da doch den schwarzen Läufer Jesse Owens, den nicht mal die Nazis „am Gewinnen hindern“ konnten (Kerner) und dessen Enkelin uns anno 2004 mit dem Entzünden der Fackelschale beweisen durfte, dass man „Deutschland“ wohl verziehen haben muss.

Sonst hätte man noch darüber nachgedacht, warum es über ein Jahrzehnt des Kampfes durch den aufrechten Bürger Otto Eigen brauchte, der neben dem Stadion im Le-Corbusier-Hochhaus lebte und sich die Neunziger über verzweifelt für die Umbenennung der Reichssportfeldstraße in Flatowallee einsetzte. Berliner Sportverbände sperrten sich, Eigen wurde im Fahrstuhl bespuckt und beschimpft, bis er endlich auszog. Als keiner mehr daran glaubte, wurde die Straße doch noch umbenannt. Hitler übrigens, so erzählt es eine Historikerin der Kommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Stadions, lehnte damals den Vorschlag ab, die Betonschüssel schlicht nach ihm selbst zu benennen. Das war Gröfaz irgendwie zu eitel oder großkotzig.

Und das wollen wir unter dem Rot-Grün-Regime und Hartz IV Leidenden heute natürlich auch nicht sein. Deshalb hat der Architekt Volkwin Marg den Rasen des Kolosses tiefer gelegt, die Wuchtbrumme, so weit es ging, entnazifiziert und ein schön transparentes, locker flockiges Dach bauen lassen, unter dem die deutschen Hochemotionen in nächster Zeit ein wenig gedeckelt und abgekühlt werden. „War historisch jewesen der Abend, aber dit dollste Stadion der Welt isset eh nich“, meinte jemand angenehm nüchtern bei der Rückfahrt in der S-Bahn.

ANDREAS BECKER