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Archiv-Artikel

Nur für begabte Stoffwechsler

Spacedrinks auf Kräuterbasis und psychoaktive Pflanzen verhelfen zu natürlichen Rauscherlebnissen: Fit for Fun mit Hilfe des Gewürzregals, und alles ganz legal? Ein Schlückchen „Venuswave“ haut niemanden um, aber der Wahrheitssalbei hat es durchaus in sich. Ein Selbsterfahrungsbericht

VON IMKE SCHRIDDE

Eine Kollegin liegt in meiner Wohnung neben mir im Bett. Vorhänge zu, alles dunkel. Ein paar Zentimeter trennen uns, vielleicht noch weniger. Damit wir zur Not schnell rüber greifen und Händchen halten können, falls es ganz schlimm kommen sollte. „Merkst du schon was?“ Wir werden von zwei irrsinnigen Lachanfällen überrascht. Damit haben wir nicht gerechnet, das stand in keiner Wirkungsbeschreibung über den so genannte Wahrsagesalbei aus Mexiko. Wir reißen uns zusammen, schließen die Augen.

Vorher haben wir dreimal hintereinander je vier Minuten eine ekelhafte braune Flüssigkeit im Mund hin und her fließen lassen. Es brannte schlimmer als Medizin, Speichel zog sich zusammen. „Zum Färben oder Räuchern“ stand auf dem Fläschchen. Je dreimal spuckten wir das Zeug hintereinander in meinen Lieblings-Kaffeebol. Wenn das nicht zusammenschweißt, was sonst. Aber zur Sache: Wir haben was gemerkt. Ein paar intensive Bilder vor dem inneren Auge, Kribbeln im Körper, die Musik war eindringlicher; beim Aufstehen Puddingbeine. Sonst nichts. Nach einer halben Stunde war alles vorbei.

Rausch aus dem Gewürzregal

„Wie ein starker Joint“, sagte die Kollegin später. Komisch eigentlich, dass für legale Rauschmittel wie den Wahrsagesalbei immer das illegale Haschisch als Vergleich herangezogen wird. „Wie drei Joints“, raunte es zu Zeiten von Malcolm X durch US-Gefängnisse. Damals entdeckte die westliche Welt die psychoaktive Wirkung der Muskatnuss. Manch einer weiß auch heute noch nicht um den potenziellen Rausch, der sich in seinem Gewürzregal verbirgt. Aber langsam wird die psychoaktive Wirkung von Pflanzen auch über Ethnobotaniker-Kreise hinaus (wieder-)entdeckt.

Die in Asien verbreitete Passionsblume ist in gut sortierten Kräuterläden ebenso zu finden wie Damiana, ein gelb blühender Strauch, dem nachgesagt wird, halluzinogene Rauschzustände hervorzurufen. Selbst Kawa-Kawa gibt es hier zu kaufen, eine Wurzel, die wegen ihrer euphorisierenden Wirkung traditionell im Südseeraum gekaut wird. Auch Stechapfel- und Tollkirschensamen gehen nicht nur wegen der späteren Schönheit der Pflanzen „zu Anschauungszwecken“ über die Ladentheke. Um diese ebenfalls legalen Pflanzen zu probieren, muss man allerdings um einiges experimentierfreudiger sein. Der im Stechapfel enthaltene Wirkstoff Scopolamin ist nämlich hochgradig halluzinogen – und unter bestimmten Umständen sogar lebensgefährlich.

In Verbindung mit Alkohol hingegen gelten für die Pflanzenwelt schärfere Auflagen. Selbst mit dem eigentlich absolut legalen Wachmacher Guarana müssen hier laut Lebensmittelgesetz strikte Grenzwerte eingehalten werden. „Die Werte sind so gesteckt, dass man von den Pflanzen kaum etwas spürt“, sagt der Lebensmitteltechniker Bernd Lauer. In einer Berliner Fabriketage sitzt seine Firma Sensatonics. Ihre Kräuterkicks werden mittlerweile nicht mehr nur in Deutschland, sondern europaweit verkauft. In den Büro- und Versandräumen riecht es wie in einem Gewürzlager. Die zimmerhohen Regale sind mit riesigen Papiertüten aus dem südamerikanischen und asiatischen Großhandel gefüllt. Im Labor nebenan gärt es in kniehohen Plastikbehältern – alles fein säuberlich beschriftet.

Mit seinen gemischten Trünken will Lauer die Effekte von Pflanzen wahrnehmbar machen, ohne dass sie die geltenden Grenzwerte überschreiten. Dabei geht es ihm allerdings nicht um einen „ultrastarken Effekt“, sondern darum, die Wirkung der Pflanzen in angenehmer Weise spürbar zu machen. In seinem Labor versucht der Lebensmitteltechniker, verschiedene Pflanzen so miteinander zu kombinieren, dass sie sich in ihrer Wirkung beeinflussen und unterstützen. Mit einigen Rezepten hält er sich dabei an jahrhundertealte Vorgaben der Mystikerin Hildegard von Bingen. Alkohol nutzt er, um die Gärphase genau dann zu stoppen, wenn das Wasser eine bestimmte Pflanzenkonzentration erreicht hat.

Seit einigen Jahren mischt Lauer zum Beispiel Kokmok, ein Getränk aus Vanille, Kakao, Süßholz, Guarana, der afrikanischen Colanuss, Kardamom und Galgant, einer scharfen indonesischen Ingwerwurzel. „Schon wenn man an Kardamom riecht, stabilisiert es die Atmung – die Haltung wird aufrechter“, sagt er. Deshalb sei dieses Gewürz in vielen arabischen Ländern Kaffeepulver beigemischt. „Zusammengekauertes, depressives Kaffeetrinken stabilisiert den niedergeschlagenen Status nämlich noch“, erklärt er. Wer aber Koffein aufrecht zu sich nehme, werde in einem euphorischeren Sinne wach. Das ingwerähnliche Galanga im Kokmok habe einen wärmenden Effekt, es fördere die Durchblutung im Magen. So können die anderen Stoffe besser aufgenommen werden und ihre Wirkung entfalten. Und auch die gute alte Vanille begünstige die Aufnahme anderer Stoffe.

Dem Körper Gutes tun

Schon seit einiger Zeit organisiert Sensatonics mobile Spacebars, an denen Kicks namens Kokmok, Moonwalk oder Venuswave zu bekommen sind. Mittlerweile stehen sie nicht mehr nur auf Goa-Festivals, sondern auch auf „normalen“ Partys. Ganz unterschiedliche Menschen schwören auf die Kräuterkicks. Weil sie keine chemischen Keulen sind, aber trotzdem wach halten – auf „natürliche Weise“. Dem Körper Gutes tun, lautet die Devise der Konsumenten, und dabei voller Energie bleiben, um beruflichen und sozialen Erwartungen weiterhin zu genügen.

250 Milliliter der bitteren Flüssigkeit, gemischt mit Maracujasaft, über die frühe Nacht verteilt – und er könne durchtanzen bis zum Morgen, sagt ein junger Vater. „Die Zeit vergeht dann wie im Flug. Und nach einem kurzen Schlaf – wenn die Tochter ruft – gibt es keine Aufstehprobleme.“ Keine Nachwirkungen, keinen Kater.

Hier kommen wieder meine Kollegin und ich ins Spiel: Auch den Kokmokkick haben wir probiert. Tatsächlich ohne Nachwirkungen. Aber da wir auch keine Wirkung gespürt hatten, wundert das eher nicht. Irgendwann am späten Abend hielten wir es mit dem Kokmok allein nicht mehr aus und bestellten Wodka-Lemon.

Aber keine Sorge, das werde sich ändern, beruhigt Pflanzenspezialist Lauer: „Bei durchschnittlich begabten Stoffwechslern dauert es ein paar Drinks, bis eine Wirkung spürbar ist.“ Viele Menschen hätten durch eintöniges Essen die Fähigkeit verloren, sich an Nahrungsmittel sofort anzupassen.

Da könnte man fast neidisch werden: „Es entsteht einfach ein superangenehmes Gefühl, und man ist viel offener gegenüber anderen Menschen“, sagt eine Frau, die am liebsten Venuswave trinkt. Es enthält die Pflanze Damiana, der unter anderem eine aphrodisierende Wirkung nachgesagt wird. Laut Pflanzenkundebuch befreit sie die Atmung und durchblutet den Unterleib.

Auch ausprobiert, diesmal nicht mit der Kollegin. Wenn es gewirkt hat, dann in die verkehrte Richtung: so schnell müde geworden wie lange nicht. Aber vielleicht habe ich die Wirkung einfach verschlafen. Oder ich habe nichts gemerkt, weil ich einfach eine total unterdurchschnittliche Stoffwechslerin bin. Es komme immer darauf an, wie jemand gerade drauf ist und ob er sich für die Wirkung öffnen will, diagnostiziert Lauer.

Wiederum andere schenken die Kräuterliköre – im Grunde sind sie ja nichts anderes – als Digestif aus. „Satyr zum Beispiel regt das Gespräch an, man kommt auf außergewöhnliche Gedanken“, erzählt eine junge Ärztin. „Spontane Erfrischung für Körper und Geist. Satyrn sind der Sage nach die Begleiter des Dionysos: vitalisierend, einleuchtend“, heißt es dann auch im Werbeprospekt von Sensatonics.

Bei manchen Mixturen sei natürlich auch die Wirkung des Alkoholgehalts nicht zu unterschätzen, gesteht Lauer ein. Allerdings wirke der hier weit weniger stark als in anderen alkoholischen Getränken, da es sich nicht um „freien Alkohol“ handele, der über die Schleimhäute im Mund wirken könne.

Wohltuend und bekömmlich

Wie die einzelnen Pflanzen genau wirken, darf Lauer laut Gesetz nicht auf die Flaschen schreiben. Nur „wohltuend und bekömmlich“ ist als Beschreibung einer hervorgerufenen Stimmung erlaubt. Sonst würden die Kräuterliköre nicht mehr als Lebens-, sondern Arzneimittel gelten. „Und da eine Zulassung zu bekommen, ist teuer“, sagt der Sensatonics-Gründer.

Mit Adjektiven wie „spontan“, „energetisch“ und „schwerelos“ wagt sich die Firma jetzt über das Erlaubte hinaus. „Legalize Information“, fordert der Pflanzenspezialist zwischen Lachen und ernstem Stirnrunzeln; auch für die ganz herkömmlichen Kräuterliköre.

Und wie sehr regen die Pflanzendrogen zum Missbrauch an? Der Pflanzenhype habe sich bei ihnen nicht bemerkbar gemacht, heißt es bei der Berliner Drogenberatung Boa. Die halluzinogenen Pflanzen wie Wahrsagesalbei oder Stechapfel würden sich kaum zum Dauergebrauch eignen. Der Mensch bei Boa scheint auch nur ein durchschnittlicher Stoffwechsler zu sein; was die Spacedrinks betrifft sagt er: „Die sind eher homöopathisch und haben viel mit Dran-Glauben zu tun. Also ich hab nichts gemerkt.“