: Ein Sicherheitsrat für die Realität
Ohne Reform droht der UN-Sicherheitsrat seine Legitimation zu verlieren. Deutschland hat nur Chancen auf einen ständigen Sitz, wenn es mit anderen Bewerbern kooperiert
Die Kampagne eines Landes für einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat kann sich nicht darauf beschränken, einen Anspruch darauf anzumelden. Sie muss auf einem Mix von Argumenten basieren, die zum Ziel haben, andere von der Vorzügen der eigenen Sache zu überzeugen. Dazu gehört eine gemeinsame Lobbyarbeit mit anderen Anwärtern und schließlich eine Strategie, die Gegner identifiziert und neutralisiert.
Die Notwendigkeit zur Reform des Sicherheitsrats erkennen alle an – aber man kann sich nicht auf ein gemeinsames Paket von Maßnahmen einigen. Dabei ist die Reform äußerst dringlich. Die Arbeit des dazu von den Vereinten Nationen speziell eingesetzten High-Level-Kommission hat gemeinsam mit dem internationalen politischen Umfeld das nötige window of opportunity geschaffen. Sollte es sich wieder schließen, dann wird es für lange Zeit verschlossen bleiben, Deshalb ist es wichtig, den Moment zu nutzen und zu einem Ergebnis zu kommen.
Die einzigartige Legitimität der Vereinten Nationen als Quelle internationaler Autorität ist bedroht, da sie immer weniger repräsentativ für die internationale Gemeinschaft ist. Die UN sind in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg stehen geblieben. Mit abnehmender Legitimität sind sie immer weniger in der Lage, das Verhalten der Mitgliedstaaten zu regeln. Diese Schwäche wird zunehmen, sollte der UN-Sicherheitsrat versuchen, aktiver und schlagkräftiger zu werden: Diejenigen, die die UN nicht mehr für eine authentische Stimme der internationalen Gemeinschaft halten, würden seine Anordnungen schlicht und ergreifend nicht mehr beachten.
Der Sicherheitsrat riskiert einen Verlust an Legitimität und, damit zusammenhängend, eine Erosion seiner Effektivität und Effizienz, wenn er es wieder einmal nicht schafft, bedeutende strukturelle und verfahrenstechnische Reformen durchzuführen. Zentral für eine Reform des Sicherheitsrats ist es, ihn effektiver und effizienter zu machen, indem er den heutigen Realitäten angepasst wird.
Die Reform sollte über zwei Fragen angegangen werden: Wenn wir jetzt neu anfingen, wie würde dann der Sicherheitsrat aussehen? Und: Wie kann der Übergang funktionieren von dem, was wir heute haben, zu dem, was wir haben sollten?
Für ständige Sitze sollten Länder ausgewählt werden, die bewiesen haben, dass sie die Glaubwürdigkeit, die Kapazität und die Bereitschaft haben, menschliche, finanzielle, militärische und weitere Ressourcen bereitzustellen, um die Ziele der UN voranzutreiben. Hier gibt es bereits jetzt eine überraschend breite Einigkeit zwischen den führenden Kandidaten: Von zusätzlichen fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats ist bei vieren die Sache klar: Deutschland, Japan, Indien und Brasilien. Das fünfte wird entweder Ägypten, Nigeria oder Südafrika sein – oder zwei von diesen, falls Europa bereit wäre, seinen Anteil wie andere Kontinente auf zwei Sitze zu beschränken.
Widerstand kommt von drei Gruppen: den bisherigen fünf Mitgliedern des Sicherheitsrats – also China, Frankreich, Russland, den USA und Großbritannien –, die ein inhärentes Interesse am Erhalt des Status quo haben. Hinzu kommen regionale Rivalen der Kandidaten – und eine große Gruppe, die meint, ihr Einfluss würde sich weiter verringern, wenn die ständigen fünf zu ständigen zehn würden. Alle drei Gruppen verfahren nach der Prämisse „Teile und herrsche“ um die führenden Bewerber dazu zu bringen, miteinander zu konkurrieren.
Erst vor kurzem haben Brasilien, Deutschland, Indien und Japan endlich verstanden, dass sie entweder zusammen innerhalb eines großen Sets von Reformen ständige Mitglieder werden oder gar nicht. Japan allein oder zusammen mit Deutschland würde das bereits vorhandene Ungleichgewicht zwischen industrialisierten und Entwicklungsländern vergrößern. Zusammen mit Brasilien und Indien sähe dies anders aus.
Jeder der Kandidaten hat sowohl berechtigte Ansprüche als auch mindestens eine große, aber nicht unbedingt entscheidende Schwäche. Indien ist mit einer Milliarde Menschen die Nummer zwei unter den bevölkerungsreichsten Ländern der Welt, es trägt erheblich zu Peacekeeping-Missionen bei, und es ist atomar gerüstet – aber: nicht im Einklang mit dem Nichtverbreitungsvertrag (NPT).
Japan ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt und zahlt mehr in das Budget der Vereinten Nationen ein, als vier der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates zusammen. Aber: Es ist auch das einzige Land unter den vier sicheren Kandidaten, das noch beweisen muss, dass es eine wirklich unabhängige Haltung einnehmen kann. Japan übernimmt zu oft einfach US-Positionen zu Themen der internationalen Sicherheit, und Washington ist schon jetzt viel zu bedeutend im System der UN.
Deutschland ist Europas größter und der weltweit drittgrößte Wirtschaftsraum. Es hat seine Fähigkeit zur Unabhängigkeit von Washington im Irakkrieg bewiesen, es hat begonnen, eine immer aktivere Rolle in der internationalen Politik zu spielen und es trägt dabei auch militärisch immer mehr dazu bei. Aber: Europa verfügt bereits über zwei ständige Sitze im UN-Sicherheitsrat.
Brasilien versucht wie Deutschland und Japan, den Zusammenhang zwischen nuklearer Bewaffnung und einem ständigen Sitz aufzubrechen. Es hat das größte Gewicht unter den Staaten Lateinamerikas. Aber: Es ist das einzige portugiesischsprachige Land auf einem Spanisch sprechenden Kontinent.
Zusammen können diese vier Staaten einen mächtigen Block in der internationalen Politik bilden. Wenn sie eine auf diese Angelegenheit beschränkte Koalition organisierten und die Weltmeinung hinter ihre gemeinsamen Bewerbung brächten – wenige Länder könnten widerstehen. Zumal alle vier Kandidaten zu denjenigen Staaten zählen, die bereits in der Vergangenheit am häufigsten als nichtständige Mitglieder in den Sicherheitsrat in seiner jetzigen Form gewählt wurden.
Wenn sie wirklich die Unrechtmäßigkeit des jetzigen Systems aufzeigen wollen, könnten sie etwa gemeinsam entscheiden, sich künftig der Wahlmitgliedschaft im Sicherheitsrat zu verweigern. Es ist schwer vorstellbar, dass dieser weiterhin glaubwürdig wäre, würden ihm sowohl Brasilien als auch Deutschland, Indien und Japan für längere Zeit fernbleiben. Doch ein solcher Boykott wäre dramatisch und birgt in sich alle Risiken einer negativen Taktik.
Die mit eminenten Persönlichkeiten aus aller Welt besetzte High-Level-Kommission wird ihre Arbeit zur UN-Reform fortsetzen. Der Aufwand, mit dem viele Staaten ihre Arbeit unterstützt haben, deutet auf die hohen Erwartungen hin, die in dieses Gremium gesteckt werden. Deutschland sollte deshalb versuchen, die Kommission von seiner Sache zu überzeugen – nicht gegen, sondern gemeinsam mit den anderen aussichtsreichen Kandidaten für einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat.
RAMESH THAKUR
aus dem Englischen von RR