: Schön verwittert
Früher sorgte Rüdiger Knott dafür, dass die Quoten des NDR-Radioprogramms stimmen. Mittlerweile ist der Hamburger in Rente und stellt Kunstwerke aus Strandgut her, dem der Einfluss von Sonne, Wind und Wasser anzusehen ist. Die Erlöse bekommt das Obdachlosenprojekt „Hinz & Kunzt“
VON TINA STADLMAYER
Mitten im Raum steht ein riesiger alter Schwimmgürtel aus Plastik, der früher einmal eine große Boje getragen hat. Darauf: alte Blechdosen, Plastikpuppen mit zerzausten Haaren, eine schwarze Tasche, gefüllt mit alten Schrauben, jede Menge Krimskrams – fast alles Strandgut, weggeworfen, angeschwemmt und aufgesammelt.
Das Atelier des Objektkünstlers Rüdiger Knott im 6. Stock eines alten Speicherhauses in Hamburg-Rothenburgsort ist ein Gesamtkunstwerk. Fundstücke aus Plastik, Blech, Holz und Stoff liegen da neben fertigen Materialbildern und Objekten. Die meisten Werke tragen keine Namen, einige schon: „Wir haben fertig“ heißt ein langer Schiffshaken mit 17 aufgespießten Bällen in verschienen Farben und Verrottungszuständen.
Rüdiger Knott verändert das Material aus seinem Fundus nur selten mit Farbe und Pinsel – Sonne, Wind und Wasser haben es bereits bearbeitet. Seine Kunst besteht darin, interessant verwitterte Stücke zu finden, zu kombinieren und ins rechte Licht zu rücken.
Der ehemalige Journalist und künstlerische Autodidakt zeigt, woran er gerade arbeitet: Ein alter Brötchensturzkasten aus Holz, der früher in einer Bäckerei benutzt wurde, dient als Hintergrund. Darauf hat Knott ein verwittertes, braunes Styroporteil und einen gelben Reflektor gelegt. „Das muss jetzt noch eine Zeit lang so bleiben, bis mir klar ist, wie es werden soll“, sagt der Künstler. „Manche Werke entstehen ganz schnell und andere müssen warten, bis sie fertig werden.“
Rüdiger Knott ist ein bisschen wie seine Fundstücke: Mit 64 nicht mehr ganz jung, unglaublich vielseitig, zurückhaltend und charmant. Seine journalistische Karriere begann in den 70er Jahren in Nordrhein-Westfalen, wo er als DPA-Redakteur den Künstler Joseph Beuys kennenlernte. „Ich war fasziniert von seinen Werken und besuchte viele seiner Vorlesungen“, erinnert sich Knott.
Auch die Begegnungen mit Christo, Otmar Alt und Günter Uecker inspirierten ihn, selbst künstlerisch tätig zu werden. Doch zunächst ging er nach Hamburg, wurde NDR-Nachrichtenredakteur, Leiter von NDR 2 und schließlich Programmchef beim Hamburg-Sender 90,3. Viel Ärger, aber auch Anerkennung bekam er im Jahr 2000 für die Entscheidung, dass auf 90,3 nunmehr statt Popmusik Schlager und Oldies gespielt werden. Seitdem ist der Höreranteil des Hamburg-Senders von sieben auf 20 Prozent gestiegen.
Neben seiner Arbeit als Redakteur fing Knott an, seltsame Sachen zu sammeln und seine ersten Werke herzustellen. Eine Collage zeigt zum Beispiel den ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht, wie er einem NDR-Redakteur das Rückgrat herausnimmt. „Das Bild hing sogar eine Weile in der Intendanz“, sagt Knott.
Als er 2004 in Rente ging, legte er als Künstler los. Daneben übernahm er ehrenamtliche Aufgaben: Er leitete die Kommission zur Auswahl der NDR-Volontäre, gründete das Hamburger Spendenparlament mit und wurde Beirat des Obdachlosenprojektes Hinz & Kunzt. Ein Großteil der Erlöse seiner Kunst kommt dem Projekt zugute.
An Hinz & Kunzt schätzt Rüdiger Knott, dass das Projekt 430 Obdachlosen die Möglichkeit gibt, durch den Verkauf der Zeitung etwas dazu zu verdienen und ihnen eine Anlaufstelle und Unterstützung bietet. „Auf seine ruhige Art ist er eine große Hilfe für uns“, sagt Hinz & Kunzt-Chefredakteurin Birgit Müller: „Er hat oft gute Ideen und vermittelt uns Kontakte.“ Ebenso toll sei es natürlich, dass er ohne viel Aufhebens seine Erlöse für die redaktionelle Arbeit spende.
Ein weiteres Projekt, für das sich Knott mit Engagement und Geld einsetzt, heißt „Kinder von Okhaldunga“. Hamburger LehrerInnen haben sich in diesem Verein zusammengetan, um eine Schule, eine Gesundheitsstation und ein Ausbildungszentrum in Nepal zu unterstützen.
Woher kommt der Antrieb für Knotts Engagement? Seine Mutter, die nach dem Krieg selbst arm war, habe immer zuerst an die gedacht, die noch weniger hatten, erzählt der Künstler. „Das hat mich sehr geprägt.“ Als Redakteur habe er „die Slums in Mumbai, Delhi, Daressalam oder Rio gesehen und gerochen“. Er habe die Müllberge in Manila bestiegen, auf denen Tausende Menschen leben und arbeiten und sich gefragt, welchen kleinen Beitrag er selbst für ein besseres Leben dieser Menschen leisten könne.
Genauso wichtig wie die Hilfe für die Armen in anderen Länden ist ihm jedoch „die Hilfe in der eigenen Umgebung“: „In Hamburg gibt es Leuchtturmprojekte wie Hafencity und Elbphilharmonie. Gleichzeitig werden die, die im Schatten stehen, immer weniger beachtet. Wer hinguckt kann in dieser wirklich reichen Stadt Hamburg viel Elend entdecken“, sagt Rüdiger Knott.
Über die soziale Spaltung Hamburgs kann sich der sonst so sanfte Künstler aufregen. Und manchmal fließt diese Wut auch in ein Kunstwerk ein: Ein Flutwarnschild zeigt zum Beispiel einen Mann, der vor einer Welle davon rennt. Neben die Welle hat Knott ein Bild der künftigen Elbphilharmonie montiert. Jetzt sieht es so aus, als würde das teure Gebäude einen Schwall auslösen, vor dem der Mann die Flucht ergreift.
Die meisten seiner Werke sind jedoch weniger konkret. Sie leben von der unkonventionellen Kombination verschiedener Materialien, sind manchmal witzig und fast immer überraschend. „Ich zeige Dinge, die abgelegt oder der Natur übergeben wurden, die wegen ihrer Farbe oder ihrer Verwitterung reizvoll sind“, sagt Knott.
Morbide Schönheit, elegante und provozierende Formen faszinieren ihn besonders. Zwei bis dreimal in der Woche holt er sich Nachschub, spaziert aufmerksam suchend die Elbe entlang, geht auf alte Werksgelände oder besucht gute Bekannte bei der Hamburg Port Authority und staubt dort ausrangierte Seezeichen ab. „Wenn ich etwas Interessantes sehe und es tragen kann, nehme ich es mit, denn ich brauche einen großen Fundus für meine Arbeit“, erzählt Knott. Am liebsten sammelt er in Wassernähe, denn seine Werke haben oft einen Bezug zum Meer und zur Schifffahrt. Aber auch die alte Abdeckung einer Fahrradklingel, die heute Morgen vor seiner Haustür lag, hat er in seinen Fundus geschleppt.
Rüdiger Knotts Arbeiten sind bis Ende März in der Seemannsmission, Große Elbstraße 132, in Hamburg zu sehen