: Ein Alphorn auf Abwegen
Von der Naturalwährung bis zum Sexualobjekt: Florian Werner stellte seine kleine, erhellende Enzyklopädie „Die Kuh. Leben, Werk und Wirkung“ zur allgemeinen Erheiterung im Roten Salon vor
VON KATHARINA GRANZIN
Wie passt ein Alphorn ins Flugzeug? Kein Problem, sagen die Fluggesellschaften, kaufen Sie doch ein paar Sitzplätze dazu. So erzählt es Dirk Vaihinger, Leiter des Züricher Verlags Nagel & Kimche, der für die Buchpremiere von Florian Werners „Die Kuh“ tatsächlich mit Alphorn anreiste.
Das seltsame flugzeugkompatible Ding, das er für diesen Zweck von einem Freund entliehen hat, sieht auf den ersten Blick nur wie das kurze, krumme Ende des berglerischen Extreminstruments aus, lässt sich jedoch mit elegantem Schwung auf die mindestens sechsfache Länge ausfahren. Aaah!-Raunen im Roten Salon der Volksbühne. Da diese Tröte ein Instrument ist, auf das Kühe zuverlässig reagieren, stellt das charmant dilettierende Alptönen des Verlagschefs den besten musikalischen Einstieg in diesen Samstagabend dar, an dem das Tier beschworen werden soll, das – in den Worten des Autors – „im menschlichen Leben seit Tausenden von Jahren eine besondere Rolle spielt“. Und in der Tat hat Florian Werner für sein Buch so mancherlei Erstaunliches zusammengetragen über das Hornvieh.
Was ihn dazu veranlasste, in dieses nicht eben auf der Straße liegende Thema so tief einzusteigen, wäre interessant gewesen zu erfahren, bleibt aber unangesprochen. Dafür erfährt man anderes, das einem sonst vielleicht nie jemand gesagt hätte. Gelacht werden darf auch, und das wird gern angenommen.
Doch trotz des leicht satirelnden Titels hat Florian Werner, im übrigen Leben auch Mitglied der Literaten-Combo Fön, mit „Die Kuh. Leben, Werk und Wirkung“ kein humoristisches Werk vorgelegt, sondern ein faktenreiches und dabei kurzweilig formuliertes Sachbuch. Eine kleine Kuh-Enzyklopädie, die in vierzehn überschaubaren Kapiteln einen anderen Aspekt des Kuhseins unter die Lupe nimmt. Dabei geht es niemals um das Rind an sich, sondern stets nur um dessen weibliche Ausprägung. Der Stier taucht bei Werner nur insofern auf, als er den Kapitalismus befördern hilft, nämlich für die Vermehrung von Kühen sorgt. Denn der zentrale Aspekt des Mensch-Kuh-Verhältnisses, und mit diesem Thema setzt folgerichtig das Buch auch ein, ist dessen pekuniäre Seite.
Der Begriff pekuniär leitet sich, ebenso wie die Penunze, vom lateinischen „pecus“ ab, was „Vieh“ bedeutet. Kühe waren lange eine der wichtigsten Naturalwährungen. Werner zitiert zahlreiche Beispiele aus der Literatur, in denen die Kuh als lebendiges Kapital zum Inbegriff des Besitzes schlechthin wird. In besonders drastischer Weise führt etwa die Erzählung „Die Kuh“ von Friedrich Hebbel vor, wie fatal die ungezügelte Gier nach Besitz sich auswirken kann: Ein Bauer, der lange auf eine Kuh gespart hat, tötet im Affekt sein kleines Kind, nachdem dies arglos die Geldscheine verbrannt hat. Aus Verzweiflung erhängt er sich. Sein Knecht fällt beim Anblick des Toten vor Schreck die Leiter hinunter und bricht sich den Hals. Seine Lampe setzt das Stroh in Flammen, worin die Bäuerin umkommt. Abschließend stürzt sich auch die Kuh ins Feuer.
Werner gibt dieses finstere belletristische Stück Kapitalismuskritik ausführlich wieder, um es dann knapp und prägnant zu analysieren. Diese Kürzestanalysen der behandelten Fundstücke sind überhaupt eine große Stärke dieses Bändchens.
Für die Lesung aber hält Werner sich lieber an die heiteren Teile seiner Kuhschau. Unter anderem verliest er Teile des Kapitels „Euter und Vulva“, das von der Kuh als Sexualobjekt handelt. Dass ausgerechnet dieses Kapitel sich stark auf die Schweiz konzentriert, mag ein wenig ungerecht sein, denn mit Sicherheit haben auch andernorts Leute Sex mit Tieren. Das nennt sich, lernen wir, Zoophilie. Doch ausgerechnet in der Schweiz gab es jenen medienbewussten Zoophilen, der, unter dem Pseudonym Peter Stierli, einem Nachrichtenmagazin ein Interview gab, in dem er etwa Folgendes von sich gab: „Der Mensch hat das Tier immer unterjocht. Ob er die Kuh nun melkt oder bumst, ist egal.“
Auch dass die Disney-Comicfigur Klarabella Kuh ab 1931 nur noch mit bekleidetem Euter auftreten durfte, da amerikanische Hausfrauenverbände sich über das „gargantueske Geschlechtsteil“ des Tieres beschwert hatten, ist ein bedenkenswertes Stück neuen Wissens, das die oft gezogene Analogie zwischen Kuh und Frau sehr schön verdeutlicht.
Man könnte gegen dieses Buch übrigens einwenden, dass „Die Kuh“ tendenziell wie eine hübsch geschriebene Liste unnützen Wissens daherkommt, man nach einer Gesamtthese aber vergeblich sucht. Das ist bei der Lektüre aber durchaus von Vorteil. Man kann an jeder beliebigen Stelle mal reinlesen und hat garantiert nie was verpasst.