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Archiv-Artikel

Fünf, die die Arbeitswelt nur von außen sehen

Nur noch fünf Monate bis Hartz IV. Die Arbeitsagenturen verschicken schon kräftig die Formulare für das neue Arbeitslosengeld II. Die drastischen Kürzungen machen die Betroffenen wütend: „Hartz IV ist ein Apartheidsgesetz, es grenzt Arbeitslose aus“, schimpft eine Erwerbslose. Fünf Beispiele

VON RICHARD ROTHER

Hartz IV macht wütend, Hartz IV enttäuscht. Zumindest die Betroffenen. Die rund 170.000 Berliner Arbeitslosenhilfebezieher erhalten zurzeit Post von den Arbeitsagenturen, sollen die Formulare für das künftige Arbeitslosengeld II ausfüllen. Die Reaktion der Betroffenen auf die nach VW-Arbeitsdirektor Peter Hartz benannte Reform fällt recht eindeutig aus: Verärgerung und Angst vor weiteren Einschränkungen überwiegen, Hoffnung auf eine bessere Betreuung und Vermittlung in Arbeit – wie versprochen wird – macht sich kaum jemand. Nachfolgend stellen wir fünf Betroffene vor:

Die Historikerin

Hartz IV macht Bel Langenet* wütend: „Das ist sozialer Sprengstoff.“ Die Regierung warte nur darauf, dass es krache, meint die 45-jährige Historikerin. Wohin das führen könne, lasse sich an den guten Wahlergebnissen für Rechtsextreme bei den sächsischen Kommunalwahlen ablesen. Irgendwann sei die Leidensfähigkeit der Leute an ihrem Ende, ist sich die Frau sicher. Am 1. Mai 1987 war Langenet zufällig in die Randale in Kreuzberg geraten. Ja, so könnte es wieder kommen, meint Langenet. „Dann kaufe ich mir einen Stuhl und setz mich in die erste Reihe.“

Im Moment sitzt Langenet zu Hause – in einer kleinen Kreuzberger Eigentumswohnung, entstanden aus einem alternativen Wohnprojekt. Darüber ist Langenet, die seit 2001 „mehr oder weniger arbeitslos“ ist, ganz froh: „Hätte ich mein Geld in eine Lebensversicherung gesteckt, wäre es jetzt weg.“ Dass die Leute gezwungen werden, ihre Altersversorgung aufzubrauchen, findet Langenet absurd.

Absurd wie das ganze Hartz-IV-Vorhaben, mit dem der Staat nur die Arbeitslosigkeit billiger machen, aber nichts für die Betroffenen verbessern will, sagt sie. Bessere Vermittlung? Für Langenet eine Drohung. „Ich will keinen Spritzen-im-Park-aufsammeln-Job für 2 Euro pro Stunde“, sagt sie, mit der Hand auf den Küchentisch hauend.

Richtig sauer wird Langenet, wenn sie an ihr Portmonee denkt: im Moment bekommt sie 600 Euro Arbeitslosenhilfe. Ab Januar werden es 345 Euro sein – wenn sie Glück hat, kommen 120 Euro für die Betriebskosten ihrer Eigentumswohnung hinzu. Der Verlust: mindestens 130 Euro, rund ein Viertel des Einkommens. „Ich weiß gar nicht, ob ich dann noch genug für meine drei Katzen habe.“

Ihre Wut, sie speist sich aus der Lebenserfahrung. Jahrelang hat sie als Übersetzerin bei einem großen französischen Konzern gearbeit – bis sich das Ma$nagement in Deutschland akklimatisiert hatte und sie nicht mehr gebraucht wurde. Später war sie Referentin in einem Umwelt-, anschließend in einem Frauenprojekt – bis deren öffentliche Förderung auslief.

Jetzt bewirbt sie sich „auf alles, was sich bewegt“. Aber Hoffnungen macht sie sich kaum noch. In ihrem Alter winkten die Personalchefs oft ab oder sie sei „überqualifiziert“, heiße es. Oft wird sie nur, vermutet sie, zu Vorstellungsgesprächen eingeladen, um ein Kontrastbild zu dem Bewerber abzugeben, der ohnehin genommen wird. Zwischen 25 und 35 finde man schnell immer wieder etwas, sagt sie. Danach werde es schwierig, ab 45 fast unmöglich.

Wie es weitergeht, weiß Langenet, in deren Freundeskreis viele Akademiker arbeitslos sind, noch nicht. Aber sie weiß: „Es ist kein persönliches Versagen, wenn man arbeitslos ist.“

Der Lehrer

Auch Bert Uhlmann* fühlt sich nicht schuldig. Er aber sieht sich „nur am Rande von Hartz IV betroffen“. Im Moment bekommt der 30-Jährige Sozialhilfe – obwohl er zwei Jahre lang in einer Berliner Schule unterrichtet hat. Als Lehrerreferendar war er bis Ende Juni Beamter auf Zeit, konnte nicht in die Arbeitslosenversicherung einzahlen und hat jetzt dementsprechend keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. „Das ist schon komisch“, findet Uhlmann.

Die Sozialhilfe – ab Januar hat er Anspruch auf das gleich hohe Arbeitslosengeld II . reiche hinten und vorn nicht. „Mit meinen 290 Euro kann ich nicht am sozialen Leben teilnehmen“ – keine Kneipe, kein Kino, keine Bücher. „Es ist schon frustierend, nach dem Abschluss des Studiums direkt zum Sozialamt gehen zu müssen.“ Um seinen Lebensstandard zu halten, leiht er sich im Moment noch Geld von Freunden zusammen.

An bessere Qualifizierungen durch Hartz IV glaubt Uhlmann nicht. „Ich bin ja ausgebildeter Lehrer.“ Irgendwann wird er auch einen Job finden, glaubt er, trotz einer nicht gerade berauschenden Examensnote. Dafür würde der geborene Berliner auch in andere Städte gehen – Hauptsache, die Schule sei nicht autoritär und das Kollegium sympathisch.

Hartz IV ist für ihn „ein klarer Sozialabbau, der den Arbeitslosen die Schuld an ihrer Situation gibt“. Bei der Diskussion um die verschärfte Zumutbarkeitsregeln entdeckt Uhlmann aber auch eine gewisse Arroganz der besser Qualifizierten. „Was soll denn die Putzfrau oder der Pförtner dazu sagen, dass die ihren Job als nicht zumutbar ablehnen?“ Seine Konsequenz: „Es sollte überhaupt keine unzumutbare Arbeit geben!“

Der Arzt

Gerade mit dem Studium fertig geworden ist auch Jan Stein*. Der ausgebildete Arzt weiß noch gar nicht, dass ihm künftig Arbeitslosengeld II zusteht – und zwar unabhängig davon, wie viel seine Eltern verdienen. Im Moment bliebe dem 29-Jährigen nur der Gang zum Sozialamt. Bis jetzt ist Stein dort noch nicht aufgetaucht, weil er davon ausgeht, dass seine Mutter ohnehin für ihn zahlen müsste. Die ist Lehrerin in Brandenburg, verdient entsprechend gut. Stein: „Vielleicht überlege ich mir das mit dem Sozialamt aber noch einmal.“

Dagegen spricht allerdings ein anderer Gedanke – als junger Arzt könnte er leicht vermittelbar sein. In Brandenburg werden Ärzte, auch in Kliniken, zum Teil händeringend gesucht. „Nach Brandenburg will ich nicht“, sagt Stein, der in Berlin ein Kind betreut. Seine Alternative: sich noch ein paar Monate durchwursteln – und eine Stelle in Berlin finden. Hartz IV lehnt Stein ab. „Das ist Repression gegen Arbeitslose, um den Druck, jede Arbeit anzunehmen, zu erhöhen.“ Allein der 17-seitige Fragebogen, den die Betroffenen ausfüllen müssten, spreche Bände.

Die EDV-Kauffrau

Helga Ruhland* muss den Fragebogen ausfüllen. Seit vier Jahren ist die 49-jährige Datenverarbeitungskauffrau arbeitslos. Den Fragebogen der Arbeitsagentur hat sie schon genau studiert.

Ihre größe Sorge: „Verliere ich meine Wohnung?“ Seit über vierzig Jahren wohnt sie in einem Steglitzer Mietshaus, jetzt könnte sie zum Umziehen gezwungen werden, fürchtet Ruhland. Knapp 60 Quadratmeter kosten 340 Euro plus Heizungs- und Stromkosten. Dafür stünden ihr ab Januar noch 200 Euro zu, „das geht nicht“. Selbst wenn sie umziehen wollte – es ginge kaum. Ruhland kann keine Gehaltsbescheinigung vorweisen, auch keine Bürgschaft. Es ist absurd: Wo sie wohnt, kann sie nicht bleiben; aber woandershin geht es auch nicht. „So ist der Staat“, meint Ruhland achselzuckend.

Im Moment bekommt Ruhland noch 750 Euro Arbeitslosenhilfe – und damit mehr schlecht als recht über die Runden. Ab Januar werden es rund 200 Euro weniger sein. „Hartz IV ist ein Apartheidsgesetz, es grenzt die Arbeitslosen aus“, ist sich Ruhland sicher. Dabei könnte man mit der Vermögens- und Erbschaftsteuer durchaus Einnahmen erzielen.

Von der SPD ist Ruhland enttäuscht, über die Grünen sagt sie: „Die merken nicht, was ihre Politik für die kleinen Leute bedeutet.“ Sie bevorzuge auch gesunde Lebensmittel, meint sie bitter – aber statt wie früher bei Neuland geht sie nun bei Aldi und Lidl einkaufen.

Hoffnung auf einen Job hat sie kaum noch. Wer in der IT-Branche einmal raus sei, habe es ganz schwer, sagt Ruhland, die jahrelang freiberuflich gearbeitet hat. Etwas Neues zu gründen, dazu fehlt ihr das Kapital. „Das Wirtschaftssystem stößt uns aus, und die Einzelnen müssen sehen, wo sie bleiben.“

Die Fahrradmechanikerin

Auch Margarete Garmisch* muss sehen, wo sie bleibt – jedes Jahr aufs Neue. Die 41-jährige Fahrradmechanikerin arbeitet in einer saisonal geprägten Branche. Ist der Sommer gut, wie im letzten Jahr, findet sie für ein paar Monate einen Job – ist er schlecht, sieht es düster aus. Aber auch mit Arbeit ist es schwierig: Der Tariflohn liegt bei 9,50 Euro pro Stunde; Bezahlung darunter ist üblich. Garmisch: „Das reicht gerade mal zum Leben. Urlaub ist Luxus.“

Im Moment kommt sie mit Arbeitslosenhilfe und Wohngeld auf rund 600 Euro im Monat. Mit dem Arbeitslosengeld II könnten es ab Januar bis zu 100 Euro weniger sein, fürchtet sie. „Es wird sicherlich nicht entspannter.“ Die Arbeitsagentur verfolge ohnehin nur ein Ziel: „die Leute aus der Statistik kriegen, egal wie“.

Eine bessere Vermittlung durch Hartz IV würde Garmisch begrüßen – gemäß der Qualifikation der Betroffenen. Der Zwang, sich überregional zu bewerben, bereitet ihr allerdings Probleme. „Mein soziales Netz ist in Berlin.“ Wie solle sie ein neues Netz aufbauen, wenn sie von morgens bis abends in einer bayrischen Kleinstadt arbeite, fragt sie. Und was geschehe, wenn sie dort nach einem halben Jahr wieder arbeitslos werde.

Dafür hätten die Mitarbeiter bei der Arbeitsagentur kein Verständnis, sagt Garmisch, die mittlerweile überlegt, mit einer Freundin in Berlin eine kleines Stehcafé aufzumachen. „Ich bin ein Mensch, kein Möbelstück, das man verpacken und verschicken kann.“

* alle Namen geändert