Beduinen gegen Urbanisierung

Die israelische Regierung will 6.000 Bewohner eines Negev-Dorfes zwangsumsiedeln und kappte ihnen das Wasser. Doch die Betroffenen wollen sich zur Wehr setzen. In der einzigen Beduinenstadt des Landes liegt die Arbeitslosigkeit bei 79 Prozent

AUS ABU AL-GIANSUSANNE KNAUL

Erbarmungslos brennt die Mittagssonne auf den asphaltierten schmalen Weg, der hoch zum Dorf Abu al-Gian führt. „Die Straße hier haben die Leute aus dem Dorf eigenhändig und mit eigenem Geld gebaut“, berichtet der 28-jährige Raid Abu al-Keean stolz. Bis vor einigen Monaten habe man das kleine Beduinendorf Abu al-Gian, 30 Kilometer südlich der Negewstadt Beerschewa gelegen, kaum mit einem Pkw erreichen können.

Die Hitze scheint Raid nichts auszumachen. Leichtfüßig nimmt der hochgewachsene, hagere Mann den Hügel zu dem bescheidenen, weißgetünchten Haus, in dem er mit seiner Frau und vier Kindern lebt. „Eigenhändig“ ist ein Wort, das in seinen Berichten häufig vorkommt. „Eigenhändig“ hat Raid sein Haus gebaut und jetzt ist es vom Abriss bedroht. Vor gut sechs Wochen erreichte ihn und alle anderen Bewohner Abu al-Gians der erste gerichtliche Räumungsbefehl. „Unser Anwalt hat eine Verlängerung von 30 Tagen bewirken können“, sagt er. Die nächste Frist läuft Mitte August aus.

Um die Leute aus dem 1953 errichteten und bis heute staatlich nicht anerkannten Dorf zum „freiwilligen“ Umzug zu bewegen, ließ die Bezirksverwaltung die Wasserzufuhr für die knapp 6.000 Menschen kappen. Erst seit vergangenen März war das Dorf an das staatliche Wassernetz angeschlossen, nachdem die Leute aus Abu al-Gian „eigenhändig“ knapp 9.000 Meter Rohre verlegt hatten.

Raid ist aufgebracht. Sein sonnengebräuntes Gesicht verdüstert sich zornig, wenn er über die israelischen Anstrengungen, die Beduinen zu urbanisieren, berichtet. Um keinen Preis will er nach Chura ziehen, wie es die Behörden für ihn und seine Nachbarn vorsehen. „Chura ist ein Friedhof“, schimpft er. Dorthin zu ziehen bedeutete, sich „lebendig begraben zu lassen“, vor allem deshalb, weil die Leute, die heute noch von der Landwirtschaft leben, in Chura „zur Arbeitslosigkeit verdammt wären“.

Mit dieser Prognose liegt der junge Beduine kaum falsch. In Rahat, der einzigen Beduinenstadt Israels, liegt die aktuelle Arbeitslosigkeitsrate bei 79 Prozent. 43.000 Menschen leben dort, etwa die Hälfte aller Beduinen im Negev. Die Stadt wurde 1973 mit dem Ziel gegründet, die Nomaden zu konzentrieren und neue jüdische Ortschaften auf dem frei werdenden Land zu errichten. Faissal al-Hussail, der stellvertretende Bürgermeister Rahats, spricht von einem Teufelskreis. Landwirtschaft und Viehzucht fielen ersatzlos weg, „Rahat verfügt weder über eine Infrastruktur noch alternative Arbeitsmöglichkeiten“.

Bis heute gibt es keine einvernehmliche Regelung über eine eventuelle Kompensation für das verlorene Land. Nur wenige Beduinen verfügten über Papiere, die die Besitzverhältnisse dokumentierten. Erst Anfang vergangenen Jahres entschied die Regierung über einen erneuten Fünf-Jahres-Plan zur Urbanisierung der restlichen noch in nicht anerkannten Ortschaften lebenden Beduinen.

„Wir müssen ihre illegale Invasion von Staatsland mit allen nur möglichen Mitteln unterbinden“, erklärte der damalige Minister für Nationale Infrastruktur, Avigdor Liebermann. Liebermann, dem laut Zeitungsberichten „14 neue jüdische Siedlungen“ vorschweben, schreckte nicht vor drastischen Maßnahmen zurück. Bis zum März diesen Jahres wurden 7.425 Quadratkilometer Korn- und Gemüsefelder zerstört. Zumeist ohne Vorwarnung versprühten Leichtflugzeuge giftige Chemikalien.

Auch in der Umgebung von Abu al-Gian ist bislang fünfmal Gift gesprüht worden. An der Moral der Bewohner änderte das nichts. Ebenso wenig wie der Mangel an Schulen oder medizinischer Versorgung, die ihnen versagt bleibt, solange das Dorf nicht anerkannt ist. Gemeinsam zogen sie vor Gericht, um die drohende Umsiedlung abzuwenden. Im Gegensatz zu seinen Nachbarn ist Raid von der Felderzerstörung kaum betroffen. Schon in den 60er-Jahren habe sein Vater „andere Einnahmequellen“ gesucht, als die traditionelle Schafs- und Ziegenzucht oder den Anbau von Getreide und Gemüse. Heute verarbeitet er Holz und Marmor. Eine eventuelle Landenteignung würde ihn existenziell nicht bedrohen.

Auch Raid verdient den Unterhalt seiner Familie mit Kellnern oder im Betrieb seines Vaters. Außerdem studiert er an der Ben-Gurion-Universität Geografie und Landentwicklung. Der Umzug nach Chura schreckt dennoch ab: „Ich würde 48.000 Schekel (etwa 10.000 Euro) Wiedergutmachung für mein Haus bekommen. Mich hat es über dreimal so viel gekostet.“ Außerdem sei Chura „in den Händen einer Mafia“, berichtet er. „Es gibt dort ein paar starke Leute, die wirtschaftlich und politisch alles beherrschen und die die Bevölkerung vernachlässigen.“

Der junge Beduine hat Ambitionen, nicht nur für sich selbst, sondern auch für sein Dorf: „In Abu al-Gian arbeiten die Leute Hand in Hand, um ihre Lebensumstände erträglicher zu machen.“