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Archiv-Artikel

Keine Angst mehr vor dem Osten

Kurz vor den Landtagswahlen zeigt sich: Die EU-Osterweiterung ist in Brandenburg und Sachsen kein Aufreger mehr. Die Bundespolitik ist das größere Problem

BERLIN taz ■ Die Landtagswahlen am 19. September in Brandenburg und Sachsen sind die ersten seit der EU-Osterweiterung. „Aber Hartz IV beschäftigt die Leute viel mehr als die Osterweiterung“, sagt Dietmar Woidke, SPD-Abgeordneter aus dem brandenburgischen Forst. Die Erweiterung spiele im Wahlkampf keine Rolle.

Dabei liegt Forst nur wenige Kilometer von Polen entfernt. Doch die Ängste, die es vor dem offiziellen Beitrittstermin gab, scheinen verflogen zu sein. Woidke sagt sogar, „dass die Erweiterung schon lange vor dem 1. Mai keinen mehr aufgeregt hat“. Und der sächsische CDU-Abgeordnete Thomas Colditz aus Aue, nahe Tschechien, sagt, die Erweiterung werde einfach akzeptiert. „Nur unterschwellig kommt das Thema vor“, sagt Colbitz, „wenn jemand Angst um seinen Arbeitsplatz hat.“ Vor allem die Arbeiter der Bau- und Holzindustrie an den Grenzen fürchten um ihre Jobs. Denn solche Arbeit können Polen und Tschechen billiger erledigen. „Deshalb brauchen wir die Sieben-Jahres-Regel“, sagt Colditz. Menschen aus den neuen EU-Ländern dürfen in den nächsten sieben Jahren in Deutschland nicht arbeiten.

Sehr zum Ärger der Unternehmer, die Hochqualifizierte brauchen. Selbst Thomas Colditz gibt „einen absehbaren Fachkräftemangel “ zu. Sogar tschechische Ärzte hätte der Abgeordnete gern. Denn im alternden Sachsen finden viele Ärzte keine Nachfolger mehr. Krankenhäuser und Firmen könnten per Ausnahmegenehmigung Polen oder Tschechen einstellen. Aber in Colditz’ Wahlkreis ist die Arbeitslosigkeit hoch. Er meint: „Wenn hier jemand Tschechen einstellt, gibt es einen Aufstand.“

Doch Hartz IV ist für die Grenzbewohner das weit größere Problem, sodass keine Partei Polen und Tschechen gewinnbringend als Buhmänner verteufeln könnte. Bis Ende der 90er-Jahre war das anders. Viele Brandenburger sahen in den polnischen Nachbarn vor allem potenzielle Einbrecher und fühlten sich von vereinzelten Meldungen bestätigt.

Auch heute noch macht das Innenministerium die Grenze zu Polen für erhebliche Drogenkriminalität und Diebstähle verantwortlich. Doch es gibt mehr Freundschaften, und manche Feuerwehren treffen sich zu Blasmusik und Bier.

Seit Jahren arbeiten polnische Saisonarbeiter zuverlässig für brandenburgische Spargelbauern. „Das Verhältnis ist normal geworden“, sagt Woidke. Allerdings nicht so normal, dass eine weiterführende Schule in Woidkes Wahlkreis Polnisch unterrichtet. Die Angst vor dem Nachbarn ist zwar weg, aber wirkliches Interesse ist ebenfalls selten. „Was hier bisher passiert, ist gut“, sagt Woidke, „aber es reicht nicht.“

Auch die Wirtschaft in Sachsen und Brandenburg kümmert sich kaum um Tschechien und Polen. Westdeutsche Unternehmen drängen stärker dorthin als Firmen an der Grenze. „Ostdeutsche Unternehmen haben oft zu wenig Geld für eine Expansion“, versucht Erhard Ostwald, Mitglied der Regierungskommission zum Aufbau Ost, das Desinteresse der ostdeutschen Unternehmer zu erklären. „Wer hier schon ums Überleben kämpft, kann nicht in Polen investieren“, sagt der Bauunternehmer aus der Grenzstadt Frankfurt (Oder).

Doch die Unlust am Osten ist grundsätzlicher Natur. Während Wirtschaftsseminare über das Entlassen von Mitarbeitern voll sind, verirren sich zu Vorträgen über die EU-Osterweiterung oft nur wenige. „Viele Unternehmer hoffen, dass der Kelch Osterweiterung irgendwie an ihnen vorübergeht“, sagt Heinz Schmalholz vom ifo-Institut Dresden. Der Wirtschaftswissenschaftler hat in einer Studie nachgewiesen, dass polnische und tschechische Firmen viel stärker nach deutschen Partnern suchen als umgekehrt.

Schmalholz bestätigt, dass ostdeutsche Firmen oft zu klein sind, um über die Grenzen zu gehen. „Deshalb predige ich, sie sollen sich zusammenschließen“, sagt Schmalholz, „doch viele haben dazu wohl keine Lust.“

Die Lust an Deutschland verlieren bald wohl auch viele Polen und Tschechen. Bauunternehmer Ostwald hat in Poznan ein Ingenieurbüro und muss mit dortigen Firmen um Hochschulabsolventen kämpfen. Die bekommen nämlich inzwischen auch in ihrer Heimat hohe Gehälter gezahlt. „Die rennen den Deutschen nicht die Bude ein“, sagt Ostwald. Sondern verdienen ihr Geld lieber zu Hause.

DANIEL SCHULZ