: Aber Herbie bleibt zu Hause
Endlich: Der FC St. Pauli lässt das Ende seiner Rettung morgen am Millerntor von einer illustren Musikerschar besingen
von MARKUS FLOHR
Es gibt etwas zu feiern. Eine Rettung in letzter Minute. Nein, es geht nicht um ostdeutsche Kleinstädte, auch nicht um entführte Pauschaltouristen in Nordafrika oder eher Nebensächliches wie den Weltfrieden oder die globale Hungerkatastrophe. Es ist wichtiger, es geht um Fußball. Um den familiären Stadtteilverein aus der Mitte der Stadt und ein paar Klasse-Bands, die das einzig Richtige tun: Retter-Finale feiern, also Schluss machen mit den Rettungs-Aktionen. Der Club, den sie morgen besingen werden, verzapfte in den letzten anderthalb Jahren nämlich so manchen Blödsinn, hatte statt Erfolg eben keinen, machte statt Gewinn lieber haufenweise Miese und fuhr die neu gekaufte Erstliga-Truppe auf die sprichwörtliche Wiese.
Statt nun nach dem Prinzip zu verfahren „Ich bin bankrott, na und? – Und ihr?“, wie die Hamburger Rockband Die Sterne es einmal sang, stellte sich das Sorgen- und Lieblingskind der Fußballszene an die nächste Spielfeldecke und entwickelte allerlei komische Ideen zur Verbesserung seiner momentanen Situation. Wie es bei Kindern so ist, war die Hälfte dieser Geistesblitze ganz süß, ein Viertel irgendwie komisch und der letzte Teil einfach nur Dünnsinn. Retter-Leibchen bei McDoof verticken? Franchise-Verträge mit Tchibo? Benefiz-Spiel mit dem FC Bayern? Ein US-Marine für den Sturm? Saufen für St. Pauli? Ole von Beust überreicht Dauerkarten? Dieter Bohlen singt die neue Vereinshymne? Gibt‘s nicht? Gerade mal die Hälfte ist gelogen. Der FC St. Pauli und sein Umfeld erinnerten diesen Sommer eher an ein Koks schniefendes Trainingscamp von Nachwuchswerbern, als an einen Regionalligisten mit Lizenzproblemen.
„Ich hab nichts gegen eine Nachricht, bloß nicht schon wieder diese“ (auch Die Sterne). Jeden Tag schlug der geneigte Fan mit zitternden Händen die Zeitung auf, um sich zu Gemüte zu führen, welcher neue Marketing-Affe den Verantwortlichen die Hirne platt geritten hatte. Dem Zuspruch tat das alles keinen Abbruch. Alsbald sah man die halbe Stadt in „Retter“, „Retterin“ oder „Retterchen“-Leibchen an Alster, Elbe, Uni, in den Einkaufstraßen, auf dem Kiez oder am Arbeitsplatz herumlaufen, der Präsident dieses „Funs“, Corny Littmann, trug seines rund um die Uhr. Herbie Grönemeyer reihte sich genauso in die Reihe der wohlwollenden Gönner ein wie Uli Hoeneß, Ole von Beust und Stefan Raabs Showpraktikant Elton. Thorsten Fink und Mehmet Scholl (Bayern München) bestellten eine ganze Wagenladung, man munkelt, der Buckingham Palace habe auch geordert.
Und die Gegengeraden-Fraktion, die „alten“ Fans? Die verfolgten das Geschehen zuerst interessiert, dann verstört, schließlich entnervt und sehnten das Ende der Groteske herbei. Aber St. Pauli wäre nicht St. Pauli, wenn nicht zumindest dieses (rot im Kalender vermerkte) Datum mehr als versöhnlich stimmen würde.
Wer es schon vergessen hat: Das so genannte „Retter-Finale“ ist ein Musik-Open-Air am Millerntor, bei dem die Organisatoren ausnahmsweise echtes Stilbewusstsein bewiesen haben. Nur ein paar Höhepunkte: Eigens für das Event neu zusammen getan haben sich die Punk-Legenden Rubbermaids und Slime, Norwegens härteste St. Pauli-Fans und Gender-Bender-Rocker Turbonegro werden wie immer gut aussehen, die englischen Folk-Rocker New Model Army steigen mit Düster-Shouter Andrew Eldritch (Sister of Mercy) auf die Bühne und Local Heros wie Kettcar, Tomte, Fink und Rantanplan wechseln vom Zuschauerrang im Stadion auf die Akteursposition. Alle Bands musizieren übrigens ohne Gage. Es gibt also wirklich etwas zu feiern, mindestens ein großartiges Musikprogramm. Und: dass es sich ausgerettet hat.
morgen, 14 Uhr, Millerntor; mit Abacaxi, Das Komitee für Unterhaltungskunst (singt Rio Reiser), Der Junge mit der Gitarre, Fehlfarben, Fink, Jeremy Days, Justin Sullivan & Friends, Kettcar, Punkles, Rantanplan, RubberSlime, Spielmannszug St. Pauli, The Varanes feat. Teile von The Bates, Tomte, Turbonegro und Lollipops (der Kinderchor der St. Michaelis-Gemeinde mit den Caprifischern). Karten 30 Euro