Eigener Herd ist nicht immer Goldes wert

Borussia Dortmund darf nach dem 2:4 im Elfmeterschießen gegen den FC Brügge nicht an die Fleischtöpfe der Champions League, sondern rutscht stattdessen in den Uefa-Cup ab, wo eher Schmalhans Küchenmeister ist

DORTMUND taz ■ 62.000 Menschen können erstaunlich still sein. Es war sehr ruhig im Dortmunder Westfalenstadion; der vierte Elfmeter für Brügge wurde von Mendoza versenkt, das war’s. Keiner sagte etwas. Wie Blei senkte sich Trauer in die zuvor von Nervosität zerfledderten Körper. Mit schweren Beinen verließen wir die Spielstätte.

Langsam kam die Sprache zurück; mancher redete nur, damit es nicht mehr still wäre. Einer bemühte das gute, treue Wort Scheiße, ein anderer tischte eine erstaunliche Verschwörungstheorie auf: Es sei doch sehr seltsam, dass ausgerechnet der Erz-Schalker Manfred „Manni“ Breuckmann in der ARD-Bundesliga-Konferenz die Dortmunder Spiele kommentiere, oder? Und dass den Dortmundern im Fernsehen nun das Frettchen Waldemar Hartmann auf den Hals gehetzt werde, sei Absicht und grenze an Sadismus. Das leuchtete ein: Hartmann, der so gern „Olli“ und „Svenni“ und „Ich bin der Waldi“ sagt, sorgt tatsächlich für Irritation. Jedesmal, wenn er im Fernsehn auftaucht, denkt man: Puuh, jetzt kommt Volksmusik! Es kommt dann aber absurderweise Fußball oder anderer Sport, und man muss leiden am Waldi.

Der aber nicht mal zum Witzableiter taugt. Es gibt keinen Trost nach so einem Spiel, erst recht keinen billigen. Eine Frau warf sich ihrem Begleiter an die Brust und schluchzte: Die sind soooo doof! Da war etwas dran. Ich ließ, wie der Fußballtrainer Horst Hrubesch einst sagte, noch einmal alles Paroli laufen: Hatte Borussia Dortmund die Teilnahme an der Champions League nicht schon am 24. Mai vergeigt, mit dem 1:1 gegen Cottbus am letzten Spieltag der Saison? War nicht vor 14 Tagen in Brügge das Spiel vollkommen aus der Hand gegeben worden? Und hatte man beim Rückspiel am Mittwochabend in Dortmund nicht alle Möglichkeiten gehabt, das 1:2 aus dem Hinspiel wettzumachen?

Schon in der dritten Minute profitierte Marcio Amoroso von einem Torwartpatzer und staubte sauber ab – 1:0. Das hätte gereicht für die Teilnahme an der Champions League. Aber Dortmund mauerte erfreulicherweise nicht, sondern setzte nach. Unter Druck geriet Brügge ins Schwimmen, ein zweites Dortmunder Tor hätte fallen müssen und fiel nicht. Nach 20 Minuten setzte die Flaute ein. Mit Loriot konnte man sich fragen: Ja, wo laufen sie denn? Sie liefen nicht mehr, Fehlpässe häuften sich, die Zweikämpfe wurden lasch geführt. Ein dösiges Foul von Madouni führte zu einem Freistoß für Brügge, und durch ein halbes Eigentorstand es in der 27. Minute 1:1. Auf der Tribüne griff Schrecken um sich, Gesichter wurden magensauer. Viele schwache Spiele haben auch milde Dortmunder Zuschauer zynisch werden lassen; einer verlangte höhnisch die Einwechslung von Billi Reina. Ein älterer Herr mit Silberschopf und Silberschnauz gab einen nimmermüden Dottore Lamentato, der alles, was er sagte, sofort wiederholte und verdoppelte: „Das is ’ne Katastrophe mit dem Reuter. Das is ’ne Katastrophe mit dem Reuter. Was bringt das? Was bringt das? Nur auf den Koller! Nur auf den Koller!“

Tatsächlich fiel den Dortmundern oft nichts anderes ein, als den Ball hoch auf Jan Koller zu spielen, der dann ablegen sollte – allerdings, wie Herr Lamentato fragte: „Ja, wohin denn? Ja, wohin denn?“ In der zweiten Halbzeit steigerten sich die Dortmunder, doch erst in der 86. Minute bekam Fernandez den Ball, flankte auf Ewerthon – und es stand 2: 1. Oh, war das entzückend! Und so aufregend! Alles lief nun wie am Schnürchen, Amoroso zauberte, die Pässe kamen an, und Dortmund stand vor dem erlösenden 3:1. Doch es fiel nicht, auch nicht in den 30 Minuten der Verlängerung. Ein Handelfmeter wurde Dortmund vom Schiedsrichter verweigert – aber Elfmeter gab es hinterher genug. Marcio Amoroso stieg zum Tragöden auf – er verschoss seinen ersten Elfmeter in Dortmund. Niemand nahm es ihm übel – es kroch nur ein fahles Entsetzen über die Tibüne, das dem Gefühl des Ausgelöschtseins wich, als auch Bergdölmo seinen sehr haltbaren Elfer zur Beute des Brügger Torwarts machte. Der letzte Schuss des Abends gehörte Mendoza – 4:2, Brügge ist in der Champions League, Dortmund tritt im Uefa-Cup gegen Mannschaften wie den HSV oder Hertha BSC an.

Es brechen schwere Zeiten an für die Dortmunder. Da müssen sie durch, und ich muss mit. Wer liebt, hat keine Wahl. Dies bis in die letzte ausgemolkene Körperzelle hinein wissend, verließen wir das Stadion, stumm und ergeben. WIGLAF DROSTE