piwik no script img

Archiv-Artikel

Für die Zukunft der Kinder

Bremer Studie berichtet über Probleme und Hoffnungen jüdischer Einwanderer: Sie suchten Sicherheit und finden Sozialabbau

Von ede

taz ■ Kein Ort in Bremen hat sich so sehr der Integration verschrieben wie die Jüdische Gemeinde: Ihre Mitgliederstruktur hat sich mit dem Zuzug von rund 900 jüdischen Flüchtlingen aus den ehemaligen GUS-Staaten in den vergangenen zehn Jahren vollends gewandelt. Die Anstrengungen, den Neuankömmlingen eine religiöse und soziale Heimat zu bieten, sind enorm – während die Zugezogenen ihrerseits alle Kräfte aufbieten, um sich in ihr neues Leben einzufinden. Doch gelingt ihnen das? Wie sehen sie ihre neue Umgebung und wie die eigene Zukunft?

Darüber gibt nun erstmals eine Studie Auskunft, die die Soziologin Natalia Chernina und ihr Mann, der Ökonom Jefim Chernin, erstellt haben. Beide haben zuvor an sowjetischen Universitäten gelehrt und geforscht. Beide gehören selbst zur Gruppe der Einwanderer – die vor allem ihren Kindern eine bessere Zukunft ermöglichen wollte, wie die Befragung unter 106 Gemeindemitgliedern ergab. Beide sind zugleich Akademiker und über 40 Jahre alt – wie mehr als die Hälfte der anderen zugewanderten Gemeindemitglieder auch. Im beruflichen Leben stehen sie in Deutschland deshalb vor besonders hohen Hürden.

„Die meisten von uns hätten in den Herkunftsländern heute wohl Arbeit“, sagt das Forscherehepaar. Zwar traf die Krise in der ehemaligen Sowjetunion die Akademiker, unter ihnen viele Juden, besonders schwer. Doch habe ihre gute Ausbildung da Auswege geboten – die in Deutschland, schon wegen der Sprachprobleme, meist nicht bestehen. „Personen über 40 Jahre haben es hier sehr sehr schwer Arbeit zu finden – und wenn, dann müssen sie meist soziale Herabstufung in Kauf nehmen“, beobachteten die Forscher. Lehrerinnen würden höchstens Erzieherinnen, Ingenieure fänden bestenfalls als Schweißer Anstellung. Dabei falle es Frauen leichter als Männern, sich mit der Degradierung zu arrangieren. Arbeit fänden vor allem Krankenschwestern und Handwerker.

Für viele Neuankömmlinge heißt das realistische Ziel also nicht „Integration“ in die Gesellschaft – „das würde eine Berufstätigkeit umfassen“. Sondern Adaption – die Eingliederung in diese Gesellschaft bei größtmöglicher Zufriedenheit, aber eben ohne echte Berufstätigkeit, vielfach nur mit Sozialhilfe. „Das ist ein schmerzlicher Absturz“, erklären die Chernins. Viele hätten diesen jedoch in Kauf genommen, um vor dem Hintergrund der Krise und des aufkeimenden Antisemitismus wenigstens den Kindern zu einer besseren Zukunft zu verhelfen.

„Als einen ganz wichtigen Grund für die Auswanderung nannten 49 Prozent ’die Zukunft meiner Kinder’“, sagt Natalia Chernina. Zweiter wichtiger Grund sei die Furcht gewesen, dass in den Heimatländern Ukraine, Russland, Weißrussland und Moldawien keine Verbesserung eintreten werde: Jeder Dritte erwartete weitere politische Instabilität – und ebenso viele Antisemitismus oder mit dem Glauben verbundene Kränkungen. Furcht vor Pogromen und Gewalt hatten 12,5 Prozent der Befragten als Ausreisegrund angegeben. Die Hoffnung, in der neuen Heimat Schutz und Sicherheit zu finden, waren also groß – doch nun scheint sie für einen Teil der Neuankömmlinge enttäuscht zu werden.

„Die gegenwärtige soziale Demontage macht den meisten Einwanderern viel Angst“, sagt Natalia Chernina. Einschnitte bei Sozial- und Gesundheitsleistungen sorgten für große Verunsicherung. Knapp die Hälfte der Befragten mache sich Sorgen, irgendwann vielleicht doch ausgewiesen zu werden – obgleich ihre Kinder, ebenso wie viele jüngere Zugewanderte, mittlerweile Deutsche geworden sind. „Unsere Befragung legt einen Schwerpunkt auf die Erlebnisse der Älteren“, erklärt Natalia Chernina, die früher schon für die UN in Genf forschte. „Die älteren Einwanderer suchen die Nähe zur Gemeinde stärker als die Jüngeren, die mit Familie, Arbeit und Integration ausgelastet sind.“ Und doch stimmt es nachdenklich, dass nur ein Drittel der Älteren meint, dass Deutschland für ihre Kinder die beste Wahl war.

ede