: Kongos schwerer Weg zur Gerechtigkeit
Willkür, Brutalität und Straflosigkeit prägen trotz Friedensabkommen das Justizwesen im Kongo. Aber Straflosigkeit ist die Grundlage des Friedensprozesses. Das belastet auch die geplanten Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs
AUS KINSHASADOMINIC JOHNSON
Nono Masimango überlebte seine Befragung nicht. Von der Polizei der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa im Rahmen der Aufklärung eines Mordfalls in Untersuchungshaft genommen, starb der Abteilungsleiter einer Steuerbehörde einen Monat später qualvoll. Der insulinabhängige Diabetiker bekam in Polizeigewahrsam keine Medikamente. Als sich seine Unschuld herausstellte, kam Masimango nach drei Wochen halbtot nach Hause und verstarb neun Tage danach, am 17. November 2003. Jetzt verklagt seine Familie den Staat auf 500.000 Dollar Schadenersatz.
Dass so etwas überhaupt vor Gericht kommt, ist außergewöhnlich in der Demokratischen Republik Kongo. Gesetze sind im Kongo Mittel der Machtausübung. Sie verleihen der Willkür der Mächtigen gegenüber der Masse der Bevölkerung die Aura der Unanfechtbarkeit. Da, wo Gesetze auch den Mächtigen Grenzen setzen, werden sie ignoriert.
Für den Friedensprozess im Kongo, der theoretisch zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit zu einer demokratisch gewählten Regierung führen soll, ist die andauernde Straflosigkeit allerdings kein Problem, sondern eine Grundlage. Die geltenden Friedensabkommen sehen eine allgemeine Amnestie für alle Verbrechen der Vergangenheit „außer Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ vor. Ein entsprechendes Gesetz, das die Amnestie auf „politische Verbrechen“ ausweitet, wird derzeit vor einem Parlamentsausschuss debattiert. Hauptstreitpunkt: War die Ermordung von Expräsident Laurent-Désiré Kabila, der 2001 am Höhepunkt des Krieges von der eigenen Garde umgebracht wurde, ein „politisches Verbrechen“ oder nicht?
Wenn ja, können die 30 Häftlinge, die Anfang 2003 wegen des Kabila-Mordes bei einem Schauprozess zum Tode verurteilt wurden und seitdem auf die Hinrichtung warten, freikommen. Dies würde die Situation im Osten des Landes entspannen: Dort rebellieren ruandischstämmige Militärs, die mehreren in Abwesenheit und vermutlich zu Unrecht verurteilten Kabila-Mordangeklagten nahe stehen.
Eine einfache Amnestie könnte aber andererseits, so fürchten Menschenrechtler, ein schlechtes Vorbild für die Aufarbeitung der Vergangenheit bieten. Besser wäre eine komplette Neuaufnahme des Kabila-Mordprozesses, meint Floribert Chebeya, Präsident der führenden Menschenrechtsorganisation „Voix des Sans-Voix“ (VSV): „Man muss die Uhren auf Null zurückstellen. Der Prozess war weder fair noch gerecht. Es müssen alle amnestiert werden, und dann muss es neue Ermittlungen geben.“ Das wäre auch ein Startpunkt für einen Rechtsstaat im Kongo.
Nach Angaben eines hochrangigen Parlamentsberaters tendieren die Abgeordneten aber dazu, den Mord an Kabila überhaupt nicht zu amnestieren. So würden die Todeskandidaten weiter im „Pavillon eins“ des ehemaligen Zentralgefängnisses Makala von Kinshasa sitzen bleiben. Dieses beherbergt laut VSV 2.500 Häftlinge, darunter 1.500 ehemalige Militärs. Größtenteils unter der Anschuldigung der Beteiligung an realen oder imaginären Putschversuchen der letzten Jahre festgesetzt, sind die inhaftierten Exsoldaten eine Zeitbombe für den Friedensprozess. Denn sie entstammen den Kriegsparteien, die in Kongos Allparteienregierung sitzen, und hätten viel über geheime militärische Aktivitäten zu erzählen. Die „Stabilität“ des Friedensprozesses gebietet, diese Untersuchungshäftlinge mundtot zu machen.
Rechtlosigkeit als System gibt es auch in anderen Bereichen. Menschenrechtler in Kinshasa berichten, dass die Praxis, Menschen als „persönliche Gefangene“ des Staatschefs festzuhalten – teils in den Kerkern des Präsidentensitzes, teils in Geheimgefängnissen – unter dem amtierenden Staatschef Joseph Kabila andauert. 28 „Verschwundene“ dieser Art seit dem Friedensabkommen von Dezember 2002 registrieren die Menschenrechtler von VSV. „Manche sterben in der Haft oder werden vergiftet“, erklärt VSV-Präsident Chebeya.
Vor diesem Hintergrund wird nun die Demokratische Republik Kongo zum Schauplatz des ersten Ermittlungsverfahrens des Internationalen Strafgerichtshofs. Paradoxerweise macht gerade die fortdauernde Rechtlosigkeit im Kongo die Arbeit der internationalen Ermittler unverzichtbar. Denn der IStGH wird nur dann tätig, wenn die lokale Justiz das nicht kann.
Eine Delegation des IStGH unter Leitung des für das Kongo-Verfahren zuständigen stellvertretenden Chefanklägers Serge Brammertz aus Belgien hielt sich letzte Woche in Kinshasa auf und informierte hinter verschlossenen Türen über die Pläne des Gerichtshofs. Sonderabteilungen der UN-Mission im Kongo (Monuc) sammeln in den östlichen Unruheregionen Ituri und Kivu bereits Material über Kriegsverbrechen, die nach dem In-Kraft-Treten des IStGH-Statuts am 1. Juli 2002 begangen wurden.
Eigene Ermittlungen des Gerichtshofs dort sollen im September beginnen. Bedingung sei noch die Anpassung einiger kongolesischer Gesetze, hieß es nach den Treffen von kongolesischer Seite. In Frage gestellt ist damit eventuell auch das Amnestiegesetz. Letzteres könnte ausgerechnet jene Kriegsverbrecher schützen, um die es dem IStGH geht.