: „Ein besserer Überblick ist nötig“
Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (PDS) verteidigt die geplanten flächendeckenden Profilings von Sozialhilfeempfängern. Wer Betroffene in Arbeit bringen will, brauche möglichst genaue Kenntnisse über sie. Ämter hätten dafür aber keine Kapazität
Interview RICHARD ROTHER
taz: Frau Knake-Werner, die Sozialverwaltung plant ein flächendeckendes so genanntes Profiling von Sozialhilfeempfängern. Was soll mit dieser neuen zweitägigen Erfassung und Einschätzung der Betroffenen erreicht werden?
Heidi Knake-Werner: Meine Verwaltung hat den Bezirken einen entsprechenden Vorschlag unterbreitet. Wir folgen damit dem Wunsch der Bezirke und der Träger, die mehr über die Klientel, die Sozialhilfeberechtigten, wissen wollen, um passgenaue Beschäftigungsmöglichkeiten entwickeln zu können. Spätestens seit dem Job-Aqtiv-Gesetz sind sich alle Arbeitsmarktexperten darüber einig, dass passgenaue Beschäftigungsmaßnahmen nur möglich sind, wenn man weiß, welche Bedarfe bei den Sozialhilfeberechtigten da sind, über welche Fähigkeiten verfügen sie, welche Hemmnisse liegen in der Persönlichkeit, wie Sucht-, Schulden- oder Familienprobleme.
Warum haben die Sozialämter nicht längst den Überblick über ihre Klientel? Dann wäre so ein Profiling unnötig.
In Berlin gibt es sehr viele, nämlich über 250.000 Sozialhilfeempfänger. Von denen gelten rund 80.000 als erwerbsfähig; in den vergangenen Jahren sind viele neu hinzugekommen, vor allem junge Leute und Migranten. Ein solches Verfahren ist bisher flächendeckend noch nicht durchgeführt worden; in den Sozialämtern können keine so detaillierten Personalakten darüber geführt werden, welche Voraussetzungen die einzelnen Sozialhilfeberechtigten mitbringen. Zumal ein Sachbearbeiter, der zwischen 130 und 190 Fälle bearbeitet, gar nicht die Kapazität dafür hätte. Die Diskussion über das Profiling wird in Berlin verstärkt geführt, seit wir die gemeinsamen Anlaufstellen von Sozialämtern und Arbeitsämtern einrichten, vor allem für die 18- bis 25-Jährigen. Da schauen wir, was brauchen sie, um eine Chance auf nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt zu bekommen. Es geht ja nicht darum, jemand in irgendeinen Job zu schubsen, den er nach zwei Monaten wieder aufgibt, weil er völlig überfordert ist.
Nehmen wir an, Sie haben wie geplant die 36.000 Sozialhilfeempfänger profilt und stellen dabei etwa fest, ein gewisser Anteil hat ein Drogen- oder Alkoholproblem. Ist denn überhaupt Geld da, um solche Erkenntnisse zeitnah in notwendige Hilfsmaßnahmen umzusetzen?
Unser Suchthilfebereich kann sich wirklich sehen lassen. Aber soll die Frage im Umkehrschluss heißen, dass wir mit der Analyse erst gar nicht anfangen, weil wir für Maßnahmen nicht mehr Geld haben?
Man könnte das vorhandene Geld gezielt in notwendige Programme stecken.
Genau das hatten wir vor. Wir wollten die 1,7 Millionen Euro, die in diesem Jahr für das Profiling zur Verfügung stehen, in solche Maßnahmen stecken. Das ist leider gescheitert, weil die Bundesanstalt für Arbeit die Mittel zur Komplementärfinanzierung nicht zur Verfügung stellte. Deshalb konnten die Maßnahmen nicht durchgeführt werden. In dieser Situation haben wir gesagt: Eine sinnvolle Vorbereitungsmaßnahme für wirksame beschäftigungspolitische Initiativen ist, sich einen besseren Überblick über die Sozialhilfeberechtigten zu verschaffen, die man in Arbeit bringen möchte. Und zwar sehr professionell. Es ist ja ein Unterschied, ob man wie die FDP immer wieder darüber spekuliert, Sozialhilfeberechtigte seien einfach nur zu faul zum Arbeiten, oder ob man – durch eine systematische Untersuchung – feststellt, dass es sehr oft ernsthafte Probleme gibt. Probleme, bei denen es möglicherweise nicht ausreicht, nur Beschäftigung anzubieten.
Nun gibt es die Vermutung, das massenhafte Profiling könnte durchgeführt werden, um die Sozialhilfekosten zu senken, indem Berechtigte abgeschreckt werden.
Das ist absurd. Solche Gedanken haben bei der Vorbereitung des Profilings keine Rolle gespielt. Wer sagt denn, dass Betroffene, die etwa zum Profiling-Termin nicht erscheinen, mit Leistungskürzungen zu rechnen hätten? Man kann wie die Grünen viel spekulieren, aber ich gehöre nicht zu denjenigen, die nur darauf aus sind, die Sozialleistungen zu kürzen. Im Übrigen könnte man dies vor Ort, wenn es das Ziel wäre, viel einfacher haben – da braucht man keine vorbereitete Profiling-Aktion.
Aber im Landeshaushalt sind Kürzungen bei den Sozialhilfe-Ausgaben vorgesehen.
Die beste Möglichkeit, Sozialhilfekosten einzusparen, ist, die Betroffenen in Arbeit zu bringen. Das verlangt von den Arbeitsvermittlern einiges an Ideenreichtum. Deshalb hab ich mich dafür eingesetzt, dass wir die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe strukturell begleiten, bevor die Bundesregierung so weit ist. Für die Betroffenen bedeutet es eine Entbürokratisierung, wenn sie Leistung und Beratung aus einer Hand bekommen – die Absenkung der Bezüge, die die rot-grüne Bundesregierung zu verantworten hat, ist jedoch für mich unakzeptabel.
Steht das Profiling in einem Zusammenhang mit den bundesweiten Hartz-Reformen?
Das Profiling ist auch eine Vorbereitungsmaßnahme für die beschlossene Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Im Gesetz steht, dass alle arbeitsfähigen Sozialhilfeberechtigten in die Obhut der Bundesanstalt für Arbeit kommen. Wir mutmaßen allerdings nur darüber, wie viele der Berliner Sozialhilfeberechtigten tatsächlich arbeitsfähig sind. Wenn wir besser als bisher sagen können, um wen es sich handelt und was sie noch brauchen, wäre das eine hervorragende Vorbereitung.
Manche Betroffene könnten eine Vorladung zum Profiling als überflüssig oder schikanös empfinden. Wie kann dies in solchen Gruppenveranstaltungen verhindert werden?
Man kann das ganz einfach dadurch verhindern, dass man vernünftig mit den Menschen umgeht. Das erwarte ich auch von einem professional arbeitenden Beschäftigungsträger. Aber ich verstehe nicht, wie man Sozialhilfeempfänger in Arbeit bringen will, wenn man ihnen nicht einmal zumuten kann, zu einem Beschäftigungsträger zu gehen, der sich deren Stärken und Probleme anguckt. Es ist ja auch keine Massenveranstaltung, wie auf Grund der hohen Gesamtzahl suggeriert wird. Die Profilings werden in Gruppen bis zu 25 Personen durchgeführt, das entspricht der Schulklassenstärke. Zumutbar ist das allemal.