Fußpflege unter der Grasnarbe : Ein Gegner aus Schlawakistan
Das Gejammer ist groß. Da darf der Hamburger SV endlich wieder international seine Klasse und das, was im Moment davon übrig geblieben ist, unter Beweis stellen, und was passiert: Der Gegner in der ersten Runde des UEFA-Pokals heißt Futbolnyj Klub Dnipro Dnipropetrovsk. Die pawlowsche Reaktion auf so eine Auslosung ist vorhersehbar: Unattraktiv, geringes Einnahmepotenzial, unbequemer, unbekannter Gegner, wie kommt man da hin, wo liegt das eigentlich?
Unbekannte Ukraine. Dass das Land mehr als doppelt so groß ist wie Deutschland und dort die Wiege Russlands liegt, interessiert niemanden. Bereits im 9. Jahrhundert herrschte dort die Kiever Rus, lange vor Moskaus Gründung. Ebenso wenig wird anerkannt, dass in Dnipropetrovsk immerhin auch 1,2 Millionen Menschen wohnen. Gut, die Stadt ist keine Schönheit, „vor Arbeit ganz grau“, wie Herbert Grönemeyer singen würde. Denn das Gebiet war eines der industriellen Zentren der UdSSR. Der Zugang war Ausländern verboten, da hier ein Teil der Rüstungsproduktion der „vermaledeiten Kommunisten“, wie Gerd Löwenthal gesagt haben könnte, beheimatet war.
Ilya Kabakov, einer der größten Gegenwartskünstler, wurde hier 1933 geboren. Der Mann, der nichts wegwerfen kann, arbeitet mit Alltagsgegenständen und der Alltagssprache und entwickelte damit „einen ironischen gesellschaftlichen Gegenentwurf zum Totalitarismus der Sovjetunion“, wie Dana Horáková es nie formuliert hat. Kurz und gut: Die Gegend, in die der HSV reisen darf, ist geprägt durch Kultur, Arbeit und die wunderbare Landschaft entlang des drittgrößten europäischen Stroms Dnipr. Zumindest dort, wo nicht riesige Industriebrachen sie verschandeln.
Nun nimmt der Fußball-Profi an Kunstwerken, Völkerkunde und Flusslandschaften selten Anteil. „Der will nur spielen“, wie Hundehalter es oft zum Ausdruck bringen, und damit reich und berühmt werden. Da sind ihm Spiele in Schlawakistan immer ein Gräuel gewesen. Weite unbequeme Anreise – obwohl Dnipropetrovsk einen Flughafen hat – und mangelnder Glamour schrecken ihn ab und verhindern, dass er Leistung bringt. Lieber tritt er gegen Barcelona an, weil der ja ein europäischer Traditionsclub ist, als dass er in der gemutmaßten Weite der russischen Taiga und Tundra verloren und untergeht. Auch wenn er von Geographie in den meisten Fällen keine Ahnung hat.
Letztlich freuen sich die Spieler des HSV bereits heute darauf, dass sie nach getaner Arbeit die Ukraine wieder verlassen dürfen. Dabei sollten sie aber im Hinterkopf behalten, dass so ein Ausflug auch eine hervorragende Sanktionsmöglichkeit für den Trainer bietet: Sollten sie weiterhin schlechten Fußball spielen, soll sie Kurt Jara mit dem Bus nach Hause fahren lassen. Dann können sie auf der 2.500 Kilometer langen Strecke schon mal ein paar Reiseerfahrungen sammeln. Falls es in der zweiten Runde gegen Schachtjor Donezk geht.
Fotohinweis: Eberhard Spohd ist Mitglied der Flat Earth Society und glaubt an das Gute im Menschen sowie die Wundertätigkeit einer schönen Tasse Tee am Morgen