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Archiv-Artikel

In der Zone größter Schärfe

Die Wirklichkeit in einer Spielzeugwelt: Der finnische Fotograf Miklos Gaál verfolgt ein Bildprogramm der Aufklärung. Wie verwegen das sein kann, lässt er in „Imitation of Life“ in der Galerie sphn sehen

von BRIGITTE WERNEBURG

Ein Bild ist heute niemals nur ein Bild. Es ist immer schon ein Bild von einem Bild. Und wenn es kein Schnappschuss oder keine schnelle Skizze ist, wenn Zeit, Überlegung, Handwerk und Technik in das Bild geflossen sind, dann ist es mehr noch ein Bild über ein Bild. Wir agieren notwendigerweise auf der Metaebene – oder wir agieren unter Niveau. Das ist das Zeichen unserer Zeit.

Eine der momentan erfolgreichsten Strategien, Bilder über Bilder zu machen, ist der Modellbau. Thomas Demand etwa wählt gerne die Kulissen kollektiver Erinnerung wie das Badezimmer im Genfer „Beau Rivage“, wo Uwe Barschel gefunden wurde, oder den Tunnel, in dem Lady Di tödlich verunglückte, als Bastelvorlage für seine Papp- und Papierwelten, die er der Öffentlichkeit freilich nur als Fotografien präsentiert. In einer Zeit, in der wir den größten Teil unserer Bilderfahrung durch die Medien machen, speist sich unsere Weltsicht eben oft nur noch aus reproduzierten Gemeinplätzen. Ein anderes Verfahren, mit unserer stetigen vagen Ahnung des schon mal Gesehenen umzugehen, ist die Unschärfe, wie sie etwa Gerhard Richter bemüht, um die indirekte Rede seiner Malerei offen zu legen.

Unter dem sprechenden Titel „Imitation of Life“, den er sich von Douglas Sirk geborgt hat, zeigt nun der 28-jährige finnische Fotograf ungarischer Abstammung Miklos Gaál in der Galerie sphn, wie er beide Strategien, die Anmutung des Modellbauhaften wie die Unschärfe, zusammenführt und damit zu seinen ganz eigenen und sehr eigenständigen Bildern über Bilder kommt. Dafür traktiert Miklos Gaál seine großformatige Plattenkamera so, dass das Objektiv keine plane Ebene mehr bildet. Im Endeffekt werden dadurch nur eine kurze Diagonale, ein schmaler vertikaler Streifen, ein Oval oder eine Horizontale scharf belichtet, während der Rest der Aufnahme im Ungefähren bleibt.

Anders als Richter, der in seinen Gemälden die menschliche Figur in der Bewegungsunschärfe festhält, sind es vor allem die Menschen, die bei Gaál in der Zone größter Schärfe auftauchen. In den Alltagsszenen, die Gaál fotografiert, etwa eine Demonstration, ein Fußballspiel, ein Menschenauflauf vor einem H & M-Laden oder einer Strandszene an einem schönen Sommertag, sehen dann ausgerechnet die Menschen wie Menschlein aus. Wie kleine Zinnsoldaten in einer Spielzeugwelt, eine Sichtweise, die den finnischen Künstler wiederum von Demand unterscheidet, dessen medienkritische Origami ja jegliches Personal vermissen lassen. Und anders als bei Demand, bei dem man genau schauen muss, um das Papiermodell als Referenten der Aufnahme zu entdecken, ist bei Gaál umgekehrt der Eindruck der Nachbildung so überwältigend, dass man erst nach einer geraumen Weile erkennt, dass nichts, aber auch gar nichts in seinen Fotografien gebaut, gar miniaturisiert oder etwa computergeneriert ist.

Allerdings fotografiert Miklos Gaál aus großer Distanz und gerne auch von einem erhöhten Standpunkt aus, was dem Effekt der Verkleinerung zuspielt. In den Bereichen, wo die Schärfe liegt, scheinen Gaáls Bilder trotz der Menschen in der Straße und trotz der Farbfotografie die alten Daguerrotypien zu zitieren, die die Menschen um 1840 wegen ihres Detailsreichtums bewunderten. Tatsächlich führt die aufmerkamkeitsregulierende Funktion der Unschärfe beziehungsweise der Schärfe in Miklos Gaáls Fotografien dazu, dass man sich dabei ertappt, wie man mit unendlicher Geduld seine Abzüge abscannt, um ja jede kleinste Einzelheit noch zu entdecken. Ein Effekt, um den der Finne offensichtlich genau Bescheid weiß, denn in seiner wandfüllenden „Beachlife Installation“ (2002) bei sphn spielt er ihn gegen den Betrachter aus. Um das rund 130 mal 190 Meter große Tableau hat Gaál weitere 27 Kleinformate gehängt, die alle Details aus dem unscharfen Bereich der Aufnahme zu zeigen scheinen. Natürlich versucht man diese Puzzlesteine im Tableau wiederzufinden – und scheitert regelmäßig. Es handelt sich nämlich bei den Schwimmern, dem hinter einem Busch geparkten Auto oder dem Fischerboot um eigenständige Aufnahmen.

Gaál täuscht uns, um uns unsere Sehgewohnheiten bewusst zu machen. Sein Bildprogramm ist ein aufklärerisches, vielleicht sogar pädagogisches. Aber eines, das Lust macht, das in einem verwegenen Sinn verblüfft. Das das Paradoxon nutzt, indem es Klarheit schafft, wo doch so vieles im Unklaren ist.

Bis 11. Oktober, Koppenplatz 6, Di.–Sa. 12–18 Uhr