: „Ich glaube, dass es klappt“
Jugendliche, die jahrelang keine Lehrstelle finden, schieben Frust. Die taz hat zwei BewerberInnen getroffen. Lena hat drei Ausbildungen geschmissen. Die letzte, weil ihre Mutter an Krebs erkrankte
von PLUTONIA PLARRE
Heute oder morgen wird es sich entscheiden. Wenn die Kantinenchefin, die Leiterin der Servicekräfte und die Geschäftsführung des Kreuzberger Stadtteilzentrums Alte Feuerwache Ja sagen, dann hat Lena S. eine Lehrstelle. Endlich. Die 22-Jährige, die schon mehrere Lehrverhältnisse abgebrochen hat, gehört zu den schwer vermittelbaren Jugendlichen. An mangelndem Willen, sagt Lena, liege es nicht. Sie habe bisher einfach Pech gehabt. Dazu kam ein schwerer Schicksalsschlag: der Tod ihrer Mutter. Seit einigen Tagen arbeitet Lena S. nun probeweise in der Alten Feuerwache hinterm Tresen und in der Küche. Das Angebot kam auf den letzten Drücker. Heute fängt das neue Lehrjahr an. Wenn sich Lena bewährt, wird sie in den kommenden drei Jahre als Fachkraft für das Gastgewerbe ausgebildet. „Ich bin grundsätzlich optimistisch“, sagte die schlanke junge Frau und lacht. „Ich glaube, dass es klappt.“
Lena ist in wohlsituierten Verhältnissen in Schönberg an der Grenze zu Steglitz groß geworden. Die Mutter war Lehrerin, der Vater Fahrschullehrer. Zusammen mit ihrer Zwilligsschwester Teresa begann sie nach ihrem Realschulabschluss 1999 eine Lehre, um sich zur Metallographin ausbilden zu lassen.
Im Gegensatz zu Teresa, die die ruhigere und beständigere der beiden ist, hatte Lena schon nach drei Monaten die Schnauze voll. „Die Ausbildung war mir zu trocken, das hatte nichts mit Praxis zu tun.“ Lena schmiss hin und suchte sich einen Job, der intellektuell bescheiden, aber finanziell einträglich war: Sie telefonierte für eine Agentur gekaufte Adresslisten ab, um die Menschen am anderen Ende der Leitung zur Teilnahme an Gewinnspielen zu überreden.
Nach einem Dreivierteljahr hatte sie aber auch davon genug. „Auf Dauer macht das einen ganz schön fertig.“ Villeicht ist es doch besser etwas Anständiges zu lernen, dachte sich die junge Frau und bewarb sich erneut um eine Lehrstelle. Diesmal hatte sie den Beruf elektrotechnische Assistentin ausgesucht. Die Sache hatte nur einen Haken: der Lehrmeister. „Der hatte das Bild, dass Frauen keine technischen Beruf erlernen können. Er hat mich die ganze Zeit fertig gemacht.“ Als dann auch noch die Noten runtersackten, schmiss Lena die zweite Lehrstelle hin.
Andere gelten spätestens jetzt als hoffungsloser Fall. Aber Lena war rege und hatte beim Arbeitsamt eine Sachbearbeiterin, die sich kümmerte. Am 1. September 2001 hatte sie eine neue Lehrstelle – diesmal als Telekommunikationskauffrau – in der Tasche. Nach dem Motto, alle guten Dinge sind drei, war sie mit Feuer und Elan bei der Sache.
Doch dann starb ihre Mutter an Krebs. Es waren nur wenige Wochen, die der Frau vom Bekanntwerden der Krankeit bis zu ihrem Tod geblieben waren. Die Familie stand unter Schock. „Mein Vater fing an zu trinken. Teresa war ständig krank, und mir selbst ging es auch nicht gut, aber ich mir gedacht: Einer muss hier die Verantwortung übernehmen.“ Ein paar Monate hielt sie durch, machte tagsüber ihre Lehre und schmiss abends den Haushalt. Doch dann wurde ihr alles zu viel, und sie bat ihrem Arbeitgeber, sie für ein halbes Jahr zu beurlauben. Doch der lehnte nicht nur ab, sondern drohte mit Kündigung. „Selbst kündigen hat den Vorteil, dass man keine Sperre auf der Berufschule bekommt“, sagt Lena. „Also habe ich gekündigt.“
Die Verhältnisse zu Hause haben sich inzwischen stabilisiert. Der Vater hat aufgehört zu trinken und eine neue Lebensgefährtin gefunden. Die Zwillinge verstehen sich gut mit der Frau und sind im Elternhaus wohnen geblieben: „Das hat für alle Vorteile. Wir haben das Abkommen: Vater kauft ein, wir putzen.“
Aber was ihre Ausbildung anging, war Lena immer noch keinen Schritt weiter. Jobs als Küchenhilfe bei Call a Pizza und Regale einräumen in Discountläden bringen zwar Geld, sind auf Dauer aber keine Perspektive. Also schrieb die junge Frau Bewerbungen. Auf Anraten des Arbeitsamts in einer ganz anderen Branche: dem Hotel und Gaststättengewerbe. 50 bis 60 Bewerbungen waren schon raus, als sie von einer Hotelkette an der Nordsee zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurde und danach eine mündliche Zusage bekam, am 1. September 2003 anfangen zu können. Das war im Februar. März, April, Mai gingen ins Land.
Es geschah gar nichts. Jedes Mal, wenn Lena telefonisch nachfragte, wo der Arbeitsvertrag bleibt, hieß es: Der geht in den nächsten Tagen raus. Mitte Juli, sechs Wochen bevor sie die Stelle antreten sollte, kam die Absage: Es täte ihnen Leid, aber sie hätten zu viele Azubis eingestellt. Lena war platt. Aber das Schicksal meinte es gut mit ihr. Einer vom Arbeitsamt eingeschalteten Ausbildungsvermittlungsstelle gelang es rechtzeitig, eine Alternative aufzutun. In der Alten Feuerwache steht Lena hinter dem Tresen und bereitet Latte Macchiato zu. Wenn sie sich bewährt, bekommt sie die Lehrstelle. Es wäre der vierte Versuch.
Dass sie von Glück sagen kann, ist der 22-Jährigen bewusst. In der freien Wirtschaft hätte sie wohl keine Chance mehr: „Da werden nur Bewerber genommen, die frisch von der Schule kommen.“