Kontrolle ist ohnehin nur eine Chimäre

Lidokino 5: Lachen über die Gesten der Vergeblichkeit. In „Lost in Translation“ von Sofia Coppola überlappen sich Melancholie und Gelächter wunderbar. Weniger lustig ist die Vergeblichkeit von Pressekonferenzen, selbst mit Anthony Hopkins. Richtig öde wird es, wenn James Ivory die Reizwäsche zückt

Coppolas Blick auf die japanische Fremde bleibt immer voller Zärtlichkeit

von CRISTINA NORD

Sir Anthony Hopkins kann nichts verstehen. Weil im Saal der Pressekonferenz ein Echo hin- und herschwingt, kommen die Fragen der Journalisten nicht bei ihm an. „Das Showbusiness hat Ihnen so viel Ruhm und Reichtum gegeben“, sagt einer, „hat es Ihnen auch etwas genommen?“ Dreimal muss der arme Mann seinen holprigen Satz widerholen, bis Hopkins’ Mund endlich ein „Nothing“ entfährt. Ein anderer Journalist will wissen, was der Schauspieler von Venedig halte, und die Antwort lautet: „Pretty pleasant.“ Das ist so ergiebig, als würde jemand nach der Anzahl der bisher erlittenen Mückenstiche fragen.

In Robert Bentons Film „The Humain Stain“ (außer Konkurrenz) spielt Hopkins einen wegen einer vermeintlich rassistischen Äußerung geschassten Universitätsprofessor. Der Film beruht auf dem gleichnamigen Roman von Philip Roth, vergibt aber einen großen Teil von dessen politischer Diagnostik an die privaten Verwicklungen zwischen den Figuren. Von Roths Anwürfen gegen alles, was mit political correctness zusammenhängt, bleibt eine Dialogzeile: „Politisch korrekt: Das ist das größte Oxymoron, das ich mir vorstellen kann.“ Ein hübscher Aphorimus ist das zweifellos. Ob er die unter dem Schlagwort der Korrektheit sich sammelnden gesellschaftlichen Schieflagen erfasst, ist indes fraglich.

An Hopkins’ Seite agiert Nicole Kidman als Faunia, eine vom Leben gezeichnete Mittdreißigerin. Die Leidenschaft für den bald 30 Jahre älteren Mann will man ihr glauben, die Arbeit im Kuhstall nicht – auch mit Schmutz unter ihren Fingernägeln in Großaufnahme. Dass auf ihren Schultern so ziemlich alles lastet, was man sich in den 90er-Jahren als traumatisierend vorstellte, ist eine Übertreibung von Nicholas Meyers Drehbuchs. Als Teenager wurde Faunia von ihrem Stiefvater misshandelt, ihre Kinder kamen bei einem Wohnungsbrand ums Leben, ihr Exehemann (Ed Harris) verfolgt und belästigt sie. Man wird den Eindruck nicht los, dass das Skript, je unsicherer es ist, umso freigebiger mit Schicksalsschlägen hantiert.

Dass ältere Männer jüngeren Frauen begegnen, gibt den Plot für einige Filme, zum Beispiel für „Raja“ von Jacques Doillon, für eine Episode in „Le divorce“ von James Ivory und auch für Sofia Coppolas „Lost in Translation“. Der läuft im Controcorrente-Programm, obschon er in den Wettbewerb genauso gut passte, und ist eine wunderbare Komödie der Entfremdung. Francis Ford Coppolas 32 Jahre alter Tochter gelingt in ihrem zweiten Spielfilm nach „The Virgin Suicides“ eine berückende Balance aus Melancholie und Gelächter, und diese Mischung ist so ausgelassen, so freigebig, dass das Verhältnis von altem Mann und junger Frau um so vieles aufregender gerät als etwa die olle Reizwäschennummer, die Ivory in „Le divorce“ in Szene setzt.

Ältere Männer und jüngere Frauen – das gibt den Ploteiniger Filme

Der Film spielt in Tokio, wo ein alternder Schauspieler, Bob Harris (Bill Murray), Werbeaufnahmen für eine Whiskysorte macht. Im Hotel begegnet er Charlotte (Scarlett Johansson). Sie hat eben ihr Philosophiestudium abgeschlossen und begleitet ihren Ehemann (Giovanni Ribisi), einen Fotografen. Er überhäuft sich so sehr mit Arbeit, dass er für Charlotte weder Augen noch Zeit hat, und so entsteht ein Freiraum, in dem sich Bob und Charlotte allmählich näher kommen. Ihre wachsende Vertrautheit kontrastiert mit den vielfältigen Formen der Entfremdung: Tokio erscheint wie eine Zauberwelt, hypermedialisiert, voller Spiegelungen, Displays, Leuchtreklamen und Virtual-Reality-Salons, in denen an Spielkonsolen angeschlossene Kids wilde Bewegungen aufführen. Die Figuren können nicht anders als mit Staunen darauf reagieren. Auch wenn sie sich oft in ihre Hotelzimmer zurückziehen und die Stadt aus der sicheren Distanz des 15. Stockwerks betrachten, bleibt Coppolas Blick auf die japanische Fremde doch immer voller Zärtlichkeit: Weder ist er überheblich, noch gibt er die japanischen Alltagsriten und Gepflogenheiten der Lächerlichkeit preis.

Und das Wunderland Tokio ist nur die eine Seite der Entfremdung. Die andere ist, dass „Lost in Translation“ auch das Vertraute unheimlich macht. Charlotte erkennt ihren Ehemann nicht wieder, und wenn Bob mit seiner Frau telefoniert, ist sie eine Fremde. Die Dinge spielen ihnen ohnehin unentwegt Streiche: eine Duscharmatur zum Beispiel oder ein Laufband im hoteleigenen Fitnessraum, mit dem Bill Murray einen tollen Tanz vollführt. Es sind dies die schönsten Augenblicke, die es im Kino gibt: wenn man mit dem Lachen überhaupt nicht mehr aufhören will. Es geht nicht auf Kosten einer Figur, sondern liegt vielmehr darin begründet, dass im Verhältnis zwischen dem Mensch und der Umwelt immer etwas hakt. Das Subjekt, eben noch souverän, hat keine Kontrolle mehr, und en passant wird klar: Die Kontrolle war ohnehin immer nur eine Schimäre. Verzweifeln indes muss man daran nicht, solange man über die Gesten der Vergeblichkeit lacht, und genau an diesem Punkt überlappen sich Melancholie und Gelächter.

Das Schönste an „Lost in Translation“ ist, dass Coppola die Begegnung von Bob und Charlotte nicht in die Enge der Bettlaken drängt. Der Film entwirft stattdessen eine vielgestaltige Landschaft der Gefühle, in der Freundschaft, Zärtlichkeit und Begehren gleichermaßen vorkommen. Diese Landschaft für das Kino zu erschließen, ist eine viel größere Kunst, als sich auf die Eindeutigkeit von Reizwäsche und aufdringlich zuckenden Leibern zu verlassen.