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Archiv-Artikel

Aktion ganz große Klasse

Neue Schulklassen werden mit bis zu 34 Schülern riesengroß. Lehrerverband spricht vom „Horrortrip ins neues Schuljahr“. 200 Kurse an Gymnasialen Oberstufen kamen nicht zustande. Behörde sieht die Verantwortung bei den Schulen

von KAIJA KUTTER

Sie heißen Ellen, Benni oder Nick sind 10 und 11 Jahren alt und warten gespannt auf Montag, wenn für sie mit dem ersten Tag der 5. Klasse am Gymnasium Allee das neue Schuljahr beginnt. Doch bei einem Vorgespräch noch vor den Ferien erfuhren ihre Eltern, dass diese neuen 5. Klassen sehr groß werden. Zweimal 33 und einmal 34 Schüler werden in je einer Klasse zusammengefasst. „Die Kinder werden es sowieso schwer haben mit dem verkürzten Abitur“, sorgt sich Ellens Mutter Ulla Kutter. „Statt dafür einen Ausgleich zu erhalten, haben sie es nun extra schwer.“

„Ich hätte mir gerade für die 5. Klassen auch kleinere Gruppen gewünscht“, sagt Schulleiter Ulrich Mumm. Denn gerade dieses Jahr ist für die Kinder entscheidend. Nach dem neuen Schulgesetz können sie schon nach Klasse 5 vom Gymnasium verwiesen werden, wenn sie nicht in den Hauptfächern Deutsch, Mathe und 1. Fremdsprache im Schnitt Note vier erlangen.

Vor einem Jahr, berichtet der Vize-Vorsitzende des Schulleiterverbands, hätte ein Rektor bei 100 Anmeldungen vier Klassen bilden können. Doch seit diesem Schuljahr, so Mumm, „können wir Schulleiter das nicht frei steuern“. Denn Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig (parteilos) erhöhte im Frühjahr die „Basisfrequenz“ für diese Schulstufe von 25 auf 26 Schüler. Doch daneben gibt es noch die halb offizielle Vorgabe, die Klassen nicht unter 29 Schülern zu organisieren. Mumm: „Ich dürfte keine vier Klassen bilden, dann hätte ich nicht die Stunden für den Unterricht.“

Der Altonaer Rektor will das Beste aus der Lage machen. So erhalten die Klassen eine Doppelbesetzung bei der Klassenlehrerstunde, auch erhalten diese Schüler die größten Räume und sollen viel in Kleingruppen unterrichtet werden.

Die Altonaer Schule ist kein Einzelfall. So werden am Eimsbüttler Helene-Lange-Gymnasium gleich fünf 5. Klassen à 32 Schüler gebildet. „Das ist völlig unmöglich, bei uns sind dafür sogar die Klassenräume zu klein“, empört sich Elternrätin Lore Neuling. Der Chef des Deutschen Lehrerverbands Hamburg (DLH), Arno Becker, sprach gestern von einem „Horrortrip ins neue Schuljahr“. So habe er als Biolehrer gleich zehn Klassen „um die 30 Schüler“ zu unterrichten, was einen praktischen und experimentellen Unterricht „unmöglich“ mache. „An der Hälfte aller Gymnasien laufen Deutsch-Grundkurse mit mehr 30 Schülern. Selbst Mittelstufenklassen mit bis zu 35 Kindern sind keine Seltenheit“, ergänzt sein DLH-Kollege Volker Tschirschwitz.

„Die Größe der Klassen ist etwas, was die Schulen selber organisieren können“, erklärt dagegen Behördensprecher Alexander Luckow. So sei es kein Geheimnis, dass viele Gymnasien mit größeren Klassen in der Mittelstufe ihre Oberstufenkurse finanzierten. Doch nach Beoachtung des DLH ist es fast umgekehrt. Unter der Erhöhung der Klassenfrequenzen, mit der der Senat allein 546 Stellen spart (taz berichtete), leidet auch die Oberstufe. „Es müssen sogar Stunden für die Mittelstufen aus der Oberstufe herausgewirtschaftet werden“, sagt Tschirschwitz. Die Folge: 200 Kurse, dreimal mehr als üblich, seien in diesem Jahr an Hamburgs Oberstufen nicht zustande gekommen. Darunter vor allem Physik und Informatik.

Der konservative Lehrerverband fordert von der Senatorin „politische Ehrlichkeit“. Statt mit „immer neuen nebensächlichen Themen“ wie der Eigenständigkeit von Schulen oder dem Rauchverbot abzulenken, solle sie „Farbe bekennen“ und zu den Folgen ihrer Einsparung stehen.