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Archiv-Artikel

Auf der Jagd nach Serafim Box

Sie spielen Theater und pauken Grammatik. In den Ferien, freiwillig. Ein Sommercamp in Verden soll die Sprachkenntnisse von 150 Bremer GrundschülerInnen nachhaltig verbessern. Ein erfolgversprechendes Experiment unter wissenschaftlicher Aufsicht

Von sim

Verden taz ■ Es sieht nicht so richtig nach Ferien hier aus. Graue Tische, viele Stühle, der Wald lockt draußen. Drinnen hängt das Tafelposter an der Wand. „Das Verb ist der Chef im Satz“, steht da. Weil es bestimmt, wo die anderen Wörter stehen und in welchem Fall. Grammatik pauken in den Ferien?

Am 18. Tag des Sommercamps stupst Alisa (Name geändert) die Theaterpädagogin in den Arm. „Wegen dir kann ich jetzt laut sprechen“, sagt sie. Es ist ein kleiner und doch ein großer Erfolg. Alisa ist eine von 5.000 DrittklässlerInnen in Bremen, eine von gut 1.500 mit Migrationshintergrund und mit mehr oder weniger großen Sprachproblemen. Eins von 150 Kindern, an denen das Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung untersucht, ob ein vierwöchiges Sommercamp die Sprachkompetenz nachhaltig verbessern kann – mit Grammatikstunden und Theaterspielen.

Alisa weiß von ihrer Rolle als wissenschaftliches Untersuchungsobjekt kaum etwas. Dafür umso mehr von der Kofferbande. 50 alte Gepäckstücke, die in einer Sanddüne hinter dem Schullandheim Verden steckengeblieben sind, auf der Flucht vor dem größten Feind aller Koffer: Serafim Box. Den wollen die Kinder, die Kofferbande, jetzt drankriegen.

Ein Märchen, könnte man sagen. Theaterpädagogin Meike Herminghausen sagt: Stoff für Geschichten. Gesprächsstoff für die Kinder. Sprachübung im besten Sinne. „Man muss ihnen bloß Gesprächsanreize bieten“, lautet Herminghausens Rezept. Entscheidend seien nicht die paar Sätze, die die Kinder am Schluss auf der Bühne von sich geben. Entscheidend sei die Diskussion davor. Was passiert auf der Jagd nach dem Koffer-Feind? Wie löst sich die quälende Frage der eitlen Prinzessinnen nach der Schönsten unter ihnen? Wie bringt man einem roten Drachen, der in der Schule nicht aufgepasst hat, das Fauchen bei?

Das Sommercamp, vom Bremer Bildungsressort organisiert und mit über einer halben Million Euro von der Schweizer Jacobs-Stiftung üppig finanziert, ist eine Folge der ersten Pisa-Studie. Die hatte ergeben: Schuld an den deutlich schlechteren Bildungschancen von Kindern mit Migrationshintergrund ist in erster Linie die mangelhafte Sprachförderung. Und Bildungsforscher vermuten: Die sechs Wochen Sommerferien, in denen die Kinder meistens die Sprache ihrer Eltern sprechen, wirken sich auf die deutsche Sprachkompetenz nicht förderlich aus. Die aufwändige Untersuchung – mündliche und schriftliche Sprachtests der 150 TeilnehmerInnen und einer hundertköpfigen Kontrollgruppe jeweils vor und nach den Ferien – soll nun erstmals zeigen, ob, wie stark und wie nachhaltig speziell für Zweitsprachler-Kinder entwickelte Deutsch-Grammatikkurse und Theaterspiel deren Sprachvermögen verbessern. Sowohl Deutsch- als auch Theater-Lehrerinnen zogen gestern eine positive Zwischenbilanz.

Wenn die endgültige Auswertung dem Projekt Erfolg bescheinige, kündigte Bildungssenator Willi Lemke (SPD) an, soll es im nächsten Jahr wieder ein Sommercamp geben – diesmal mit Haushaltsmitteln finanziert. sim

Ob die Kofferbande Serafim Box wohl zu fassen bekommt, klärt sich im Waldau-Theater: Di, Mi und Do, 17 Uhr.