: Rückschlag für die Bundesrepublik
Nur mittlerer Platz für Deutschland im Ländervergleich der Produktivität
BERLIN taz ■ Die Deutschen produzierten im vergangenen Jahr im Verhältnis zum Aufwand weniger als ihre US-amerikanischen und viele ihrer europäischen Kollegen. Wie die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) in Genf gestern mitteilte, erwirtschaftete ein Beschäftigter in Deutschland durchschnittlich einen Wert von 42.463 US-Dollar. Damit liegt die Bundesrepublik im Vergleich hinter Belgien als dem bestplatzierten EU-Land mit 54.333 Dollar sowie den Nachfolgern Frankreich und Irland mit je 52.000 Dollar nur auf Rang 4. Weltspitze bei der Pro-Kopf-Produktivität sind die US-Arbeitnehmer. Sie produzierten im vergangenen Jahr eine Leistung von 60.728 Dollar.
Die Produktivität gilt als Indikator für die Wettbewerbsfähigkeit eines Staates. Allerdings gibt es dabei mindestens zwei relevante Größen: die in der Studie in den Mittelpunkt gestellte Produktivität pro Kopf und die Produktivität pro geleisteter Arbeitsstunde – beide zeigen ganz unterschiedliche Entwicklungen an. So führt die ILO die Erstplatzierung der USA auf die längere Arbeitszeit der dort Beschäftigten zurück. Diese lag mit durchschnittlich 1.825 Stunden pro Jahr rund 400 Stunden höher als in Deutschland. Ebenso habe sich in den Vereinigten Staaten die stärkere Verbreitung der Informationstechnologie deutlich positiv auf die Produktivität ausgewirkt. Bei der Berechnung der Produktivität pro Stunde liegt Deutschland im ILO-Ranking zwar auch nur bei 29 Dollar und auf Platz 9 – nach Angaben des Statistischen Bundesamtes kann das jedoch nicht stimmen: Die Wiesbadener Statistiker kommen auf abgerundet 39 Dollar. Laut ILO liegen die US-Amerikaner bei 32 Dollar.
Die Rückschläge der Bundesrepublik bei der Pro-Kopf-Produktivität führt der Bremer Finanzwissenschaftler Rudolf Hickel auf die in Deutschland weiterhin stagnierende Konjunktur zurück. Das Geschäftsklima steige zwar zusehends, aber ein positiver Trend bei Auftragseingängen der deutschen Unternehmen sei noch nicht verzeichnet worden. Trotzdem sei das Land sowohl technologisch als auch bei der Infrastruktur sehr gut aufgestellt. „Diese Faktoren sind für die Produktivität eines Landes langfristig entscheidend“, sagte Hickel der taz.
Schon einzelne Ereignisse könnten die Größen beeinflussen. So sei damit zu rechnen, dass der jüngste Massenstromausfall in den USA und Kanada – als dessen Ursache Experten unter anderem die marode Technik nennen – der US-Wirtschaft Verluste in Höhe von rund 6 Milliarden Dollar gebracht habe. „Diese Defizite schlagen sich dann in der Produktivitätsrate nieder“, so Hickel. Langfristig habe Deutschland deshalb vermutlich auch gegenüber den USA kaum verloren.
Insgesamt stellte Hickel jedoch auch den pauschalen Ländervergleich in Frage: „Bei der ILO wird nicht nach Branchen differenziert.“ Jedes Land habe spezielle Stärken in der Produktivität in einigen Wirtschaftszweigen und Schwächen in anderen. Das bilde der ILO-Index nicht ab. ADALBERT SINIAWSKI
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