: Weniger ist mehr
Passivhäuser brauchen kaum Energie, weshalb die Technologie gerade beim Bau von Mehrfamilienhäusern angewandt wird. Auch bei der Altbausanierung könnte sie künftig eingesetzt werden. Passivhausbewohner loben jedenfalls den hohen Komfort
VON LARS KLAASSEN
„Über 70 Prozent des Gebäudebestandes in Berlin und Brandenburg sind zu schlecht gedämmt, haben kein komfortables Raumklima oder weisen Bauschäden infolge unkontrollierter Dampfdiffusion auf“, schätzt der Architekt Oliver Jirka. Mit seiner Kollegin Martina Nadansky will er das ändern: Die beiden bieten Energieberatung an, betreiben energetische Sanierung und bauen Passivhäuser. Ein Musterhaus kann nördlich von Berlin, in Borgsdorf, besichtigt werden. Es hat die klassische Form eines anderthalbgeschossigen Satteldachhauses und rund 160 Quadratmeter Wohnfläche.
Aber einem Passivhaus sieht man auf den ersten Blick gar nicht an, was in ihm steckt: In solch einem Gebäude kann eine behagliche Temperatur sowohl im Winter als auch im Sommer ohne separate Heiz- oder Klimaanlage erreicht werden. Es hat einen Heizwärmebedarf von weniger als 15 Kilowattstunden pro Quadratmeter im Jahr und einem Primärenergiebedarf einschließlich Warmwasser und Haushaltsstrom von unter 120.
Das Passivhaus ist eine Weiterentwicklung des Niedrigenergiehauses (NEH). Im Vergleich zum NEH benötigt ein Passivhaus 80 Prozent weniger Heizenergie, im Vergleich zu einem konventionellen Gebäude über 90 Prozent weniger. Eine sehr gut gedämmte Gebäudehülle mit Dämmstärken zwischen 25 und 40 Zentimetern und Fenster mit Dreifachwärmeschutzverglasung bewirken, dass die Wärme im Haus bleibt. Für Frischluft sorgt eine Lüftung mit Wärmerückgewinnung. Mehr als 80 Prozent ihrer fühlbaren Wärme muss die Abluft im Wärmeübertrager an die Zuluft zurückgeben. So wird etwa bei 0 Grad Celsius Außentemperatur die kalte Frischluft allein durch die 20 Grad warme Abluft auf mindestens 16 Grad erwärmt. Die Luft im Passivhaus ist pollenfrei und staubarm.
„Aber dass Passivhaustechnologie wirklich die erstrebenswerteste Variante ist, bezweifle ich“, wendet Stefan C. Würzner ein. Mit kompakter Bauweise ist für den Berliner Architekten schon viel gewonnen. Und im Bestand gilt: „Eine intelligente Heizungssteuerung spart ähnlich viel wie die Dämmung der Außenwand.“ Bei der Be- und Entlüftung ist Würzner skeptisch: „Da macht man sich von der technischen Steuerung abhängig. Und ein Qualitätssprung der Energiewerte ist nicht gleich auch ein Qualitätssprung des Lebensgefühls.“
Eigenheimsanierern rät er: „Laien können vieles selber machen, aber gerade wenn es um die Gebäudehülle und die Heizung geht, wird es sehr komplex. Deshalb sollte man sich zuvor ganz konkreten Rat holen.“ Bei der Dämmung solle man sich möglichst an natürliche Baustoffe halten. In Sachen Umweltschutz sieht Würzner auch bei Passivhäusern Schwächen: „Einige Materialien, die benötigt werden, um solch hohe Dämmwerte zu erreichen, können nur mit Hilfe chemischer Produktion und mit hohem Energieaufwand hergestellt werden.“
Berthold Kaufmann von Passivhaus Institut Darmstadt hält dagegen: „Der Energieinhalt von Dämmstoffen ist bei einem Passivhaus in zwei bis drei Jahren wieder eingespielt.“ Auch andere als Naturdämmstoffe seien unter ökologischen Gesichtspunkten vertretbar. Es darf für Kaufmann auch gerne etwas mehr sein: Fünf bis zehn Zentimeter Schichten waren früher das Höchste.“ Allerdings verursache das Material den geringsten Teil der Kosten. „Die Vorbereitung, Unterputz, Deckputz, Streichen – das kostet bei einem Wärmedämmverbundsystem rund 65 Euro pro Quadratmeter.“ Wer seine Dämmschicht dicker haben wolle, zahle für jeden Zentimeter mehr lediglich rund 85 Cent pro Quadratmeter. Rund 3.000 Passivhäuser wurden bislang in Deutschland gebaut, schätzt Kaufmann. „Und die Passivhaustechnologie steht noch vor dem Durchbruch.“ Die größten Potenziale sieht er bei Mehrfamilienhäusern und in Zukunft auch bei der Altbausanierung nach Passivhausstandard.
Um herauszufinden, ob die Gebäude wirklich alltagstauglich sind, wurden im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit die Bewohner von zwei Passivhaussiedlungen in Wiesbaden und Stuttgart befragt: Kosten, Kinderfreundlichkeit und der Wunsch nach Eigentum bewogen die meisten noch vor dem Argument des Energieverbrauchs, dort einzuziehen. Insgesamt zeigten sich die Bewohner zufrieden, lobten den hohen Komfort in den Wohnungen und fühlten sich nicht in ihrem Verhalten eingeschränkt. Fazit der Umfrage: „Damit ist das Passivhauskonzept grundsätzlich für eine Vielzahl von Nutzergruppen interessant.“
Weitere Infos zum Passiv-Musterhaus in Borgsdorf: www.jirka-nadansky.de