Jukebox

Letztlich will man doch nur mal Gott (als Gitarre) sehen

Irgendwann war es weg. Und niemand hat es vermisst. Ende der Achtziger-, Anfang der Neunzigerjahre muss es gewesen sein, als das E-Gitarrensolo „mal schnell Zigaretten holen“ ging – und sich für fast 20 Jahre nirgendwo mehr hören ließ.

Es mag ja sein, dass Pink Floyd damals auf Tournee waren und David Gilmour seine legendären Soli wie mürrische Dinosaurier an der langen Leine noch ein letztes Mal Gassi führte. Und natürlich gab es Käuze wie J. Mascis von Dinosaur Jr. oder manche Metal-Kapellen, die gar nicht anders konnten, als weiterhin die hohe, aber doch einsame und brotlose Kunst des E-Gitarrensolos zu betreiben. Ansonsten aber ließ, wer etwas auf sich hielt, das exaltierte Gegniedel bleiben. Sogar Metallica versagten sich aus Gründen der Coolness jenes sinnfreie Hochgeschwindigkeitsgefrickel, das doch früher mal ihr Markenzeichen war.

Doch die Durststrecke hat nun ein Ende.

Es erscheinen wieder schlaue Bücher über Jimi Hendrix, der einst das Solo als elektrisch-spirituelle Séance etablierte und durchaus relevante Rockplatte mit mäandernden Exkursen auf der Elektrischen. Metallica sowieso, sogar U2, und die wahnwitzigen Veröffentlichungen von The Mars Volta sind ohnehin nichts anderes als sorgsam geschichtete Soli, verschlungen und erstreckt auf 70 Minuten. John Frusciante von den Red Hot Chili Peppers, eine zentrale Figur im neuen Rock, beginnt sein neues Soloalbum wie selbstverständlich mit einem zehnminütigen E-Gitarrensolo à la „Maggot Brain“ von Funkadelic, dieser Ikone der Zunft. Und am Samstag steigt im notorischen Kreuzberger Rockerclub Wild At Heart ein von der Verstärkerfirma Marshall initierter Wettbewerb namens „Guitar Masters“, wo sich endlich auch wieder das breite Fußvolk öffentlich darin messen darf, wer das „amtlichste Brett“ hinlegt.

Das E-Gitarrensolo – in seiner Abwesenheit geschmäht als überflüssiges „Ornament“, als notgeiles „Gewichse“ oder phallokratisches Machtsymbol – ist also wieder da, und es geht ihm besser als je zuvor. So als hätte es die letzten beiden Jahrzehnte zurückgezogen in einem buddhistischen Kloster verbracht und Kraft getankt für seine ewige, eigentliche und vornehmste Aufgabe. Denn es geht dem echten E-Gitarristen wie seinem Zuhörer weniger um Feedback-Orgien, Wah-wah-Gejaule und verzerrte Riffs – sondern um nichts Geringeres, als durch die Lücken in diesem Lärm einen Blick auf Gott zu erhaschen. ARNO FRANK