piwik no script img

Archiv-Artikel

Eiskalt kann sehr cool sein

Felix Magaths wertkonservative Reformen beim FC Bayern München lassen nicht nur alte Recken neue Kräfte entdecken, sondern führen auch zu einem routinierten 2:0-Sieg beim Hamburger SV

AUS HAMBURG OKE GÖTTLICH

Da saß er nun und stöhnte über die Hitze. Viel mehr konnte aus Sicht Felix Magaths nach dem lässigen 2:0-Erfolg gegen den HSV auch nicht beklagenswert gewesen sein. Aber die Frage, die sich keiner zu stellen traute, könnte Pate stehen für den FC Bayern München der neuen Saison: Warum saß der Trainer 90 Minuten lang in praller Sonne, ohne sich seines Jacketts zu entledigen? Trieb ihn die Sorge um, man könne an seinem Hemd Advocaat’sche Schweißbäche entlangrinnen sehen, oder trat er nur den endgültigen Beweis an, dass bei den Bayern nun die Ära des Trainers mit dem Herz aus Eis angebrochen ist, das selbst 40 Grad widerstehen kann? Egal welche Antwort Felix Magath wohl gegeben hätte, sie wäre auf den einfachen Nenner Disziplin zu bringen gewesen. Sei es Disziplin in Sachen Eitelkeit oder die in Sachen Leidensfähigkeit, welche die Bayern zu möglichst vielen Titeln führen soll.

Immer wieder konnte man während der Vorbereitung auf die neue Saison aus München den wertkonservativen Ruf nach Disziplin, Respekt und Demut vernehmen. Turnvater Magath mimte in ihm eigener Kühle den Sonderbeauftragten für Leibesübungen und förderte mit seinen Gipfelwanderungen und Medizinballattacken tatsächlich Talente zutage, die bei einigen bajuwarischen Scampi-Kickern verschütt gingen. Besonders einem Trio, dem man kaum Vorwürfe in dieser boulevardesken Größenordnung machen kann, schien diese Lehre dem eigenen Körper gegenüber gut getan zu haben: Thomas Linke, Mehmet Scholl und Sebastian Deisler. Alle drei feiern ihr ganz persönliches Comeback unter dem neuen Trainer.

Was für Mehmet Scholl unter Ottmar Hitzfeld lange Zeit ein Wirken unter immer wiederkehrenden Mustern bedeutete, konnte in den letzten Wochen wahrgenommen werden, wenn Scholl die ihm bislang unbekannten Trainingseinheiten unter Magath lobte. Wie ein Schuljunge freute er sich über die konditionell anspruchsvollen Übungen. Seitdem kratzt er stärker an der Tür zum Startaufgebot als in den vergangenen Monaten. „Wir werden noch viel Freude an ihm haben“, lobt Magath den Eifer seines dienstältesten Profis, der vier Jahre lang viele Verletzungspausen überstehen musste und in der vergangenen Saison lediglich auf fünf Einsätze kam.

Freudvoll nimmt Magath auch die Leistung eines weiteren Veteranen wahr. Die Zweikampfstatistik nach dem Spiel beim HSV wies Thomas Linke als den effektivsten Bayern-Spieler aus. Magath nahm es fast gelangweilt zur Kenntnis, hatte er doch schon zuvor erklärt, dass Linke für ihn die Überraschung der Vorbereitung sei. Der Innenverteidiger, dem vor der Saison ein Vereinswechsel nahe gelegt worden war, kontert nun mit guten Leistungen. „Für mich kam ein Wechsel nie in Frage“, gibt sich Linke so resolut wie Magath der sengenden Hitze gegenüber.

Eine Wiederkehr ganz anderer Art erlebt Sebastian Deisler. Zwar wirkt auch er austrainierter als in der Vergangenheit, doch steht bei dem Hoffnungsträger für das Nationalteam die Freude am Spiel im Vordergrund. „Jedes Spiel macht mir derzeit so viel Spaß“, sprudelte Deisler los. Der Torschütze zum 2:0 wunderte sich zwar, wie sein Freistoß da noch durch die Mauer gekommen sei, seinem Veitstanz in Richtung Magath tat das keinen Abbruch. Bekräftigte Deisler doch noch vor dem Abgang von Ottmar Hitzfeld als Bayern-Trainer sein gutes Verhältnis zu dem scheidenden Erfolgscoach. Nun scheint es Magath gelungen zu sein, ein ähnliches Vertrauensverhältnis zu dem Mittelfeldstrategen aufzubauen. Man solle Deisler noch ein wenig Zeit lassen, mahnte er hinsichtlich allzu hoher Erwartungshaltungen. „Bis 2006 gibt es noch genügend Möglichkeiten für Sebastian, sich zu beweisen.“

So recht auftauen wollte Bayerns neuer Trainer nach seinem ersten siegreichen Ligaspiel nicht. „Wir mussten uns hier ziemlich wehren“, lobte er den HSV ein wenig über den Klee, um aber nachzuschieben, dass man aufgrund der höheren Qualität der Einzelspieler verdient gewonnen habe. Womit der Beauftragte für Leibesübungen nichts anderes ausdrückte, als dass der HSV zwar statistisch gesehen mehr Ecken und Tormöglichkeiten hatte, aber weit weniger effektiv war als sein Team, dass seit langem mal wieder bewies, wie cool eiskalt sein kann.