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Archiv-Artikel

Von Beust bleibt, Schill auch

Keine Neuwahlen: Nach der Kür des Innensenators Nockemann verbeißen sich Koalition und Opposition in eine scharfe Generalabrechnung über zwei Jahre Schwarz-Schill. Klarer Punktsieg der Opposition über einen angeknockten Bürgermeister

von PETER AHRENS und SVEN-MICHAEL VEIT

Bürgermeister Ole von Beust hatte seinen Parteifreund, den Vizepräsidenten der Bürgerschaft Berndt Röder, gebeten, ihm das Wahlergebnis des neuen Innensenators Dirk Nockemann vorzeitig mitzuteilen – damit er seine Gesichtszüge für die Medien schon mal drauf einstellen kann, wenn das Resultat offiziell verkündet wird. Als dann die knappest mögliche Mehrheit von 60 Stimmen für Nockemann feststand, war der Applaus aus der Koalition denkbar dünn. Das Regierungslager ist heftig angeknockt, und aus dieser Defensive kamen die Rechts-Parteien bei der anschließenden großen Debatte zur Lage der Stadt auch nicht mehr heraus.

So war die gestrige Diskussion vielleicht das erste Mal seit der Bürgerschaftswahl tatsächlich die Stunde der Opposition. SPD-Fraktionschef Walter Zuckerer und seine GAL-Kollegin Christa Goetsch konnten ihrer Angriffslust freien Lauf lassen.

Lau gebadet

Der sozialdemokratische Oppositionsführer nahm vor allem die Verantwortung des Bürgermeisters in der Senatskrise ins Visier. Von Beust sei im Fall Wellinghausen wochenlang abgetaucht – „er badete in der Adria lau“ – und habe zwei Jahre einen Senator an der Spitze der Innenbehörde geduldet, den er jetzt als „politischen Erpresser“ bezeichnet. Zuckerer nannte Schills Nachfolger Nockemann „eine der peinlichsten Figuren der Bürgerschaft“. Nockemann sei ein „politischer Hardliner par excellence“. Dass der Senat Neuwahlen meide, könne er bestens verstehen: „Die einzige Chance der FDP- und Schill-Senatoren ist doch, hier sitzen zu bleiben und nicht vor die Wähler zu treten, dann wären sie nämlich weg.“

Keineswegs sei, so Zuckerer, „die politische Krise der Stadt beendet. Sie schwelt weiter.“ Denn Ronald Schill, „der sich außerhalb des demokratischen Spektrums unserer Gesellschaft stellte“, sei durch den Rauswurf aus dem Senat nicht einfach verschwunden: „Sie werden die Geister, die Sie riefen“, warf Zuckerer dem Bürgermeister persönlich vor, „nicht mehr los.“

Mit Flöhen aufstehen

Auch Goetsch machte es hörbar Freude, in die offenen Flanken der Koalition hineinzustoßen. „Schill-Partei bleibt Schill-Partei“, stellte sie schlicht fest. Sie erinnerte daran, wie sehr Koalitions- und Senatsmitglieder Schill in der Vergangenheit hofiert hatten. Sie rief ins Gedächtnis, wie sehr der Bürgermeister Schill bisher bei seiner Politik gestützt habe: „Dank dem Gespann Schill/von Beust darf man in dieser Stadt HIV-Infizierte und Flüchtlinge verunglimpfen, das Parlament bepöbeln und Volksverhetzung betreiben.“ Charakterlich ungeeignet, wie von Beust über seinen geschassten Innensenator festgestellt habe, sei Schill von jeher gewesen: „Wer sich mit Hunden schlafen legt, soll sich nicht wundern, wenn er mit Flöhen aufsteht.“ Eigentlich müsse man den Bürgermeister „der unterlassenen Hilfeleistung anzeigen“, weil er duldet und billigt, dass der Senat sich mit Familien und Migranten beschäftigt.

Taten und Worte

Der so attackierte Bürgermeister wollte anschließend „Hass in der Stimme“ von Goetsch erkannt haben, und auch sonst fiel von Beust an diesem Tag nicht viel ein. Er blieb farblos. Blass, ohne rhetorische Glanzpunkte verteidigte er sein Handeln in der Wellinghausen-Affäre. Die Politik des Duos Schill/Wellinghausen lobte er noch einmal ausdrücklich. Dass er Schill so lange habe machen lassen, liege daran, dass „die Taten von Schill wichtiger waren als die Worte“. Dass Rot-Grün „inhaltlich nichts zu bieten“ habe, war denn das Einzige, was ihm an Attacke einfiel.

Spreu und Weizen

Für ihn versuchte sein enger Vertrauter und CDU-Fraktionschef Michael Freytag, in die Bresche zu springen. Der Bürgermeister habe „Führungsstärke“ bewiesen, als er Schill entlassen und damit „die Spreu vom Weizen getrennt“ habe. Sprachs und ging sofort auf die Opposition los. Die SPD-Spitzen, die per Flugblatt in der Stadt Neuwahlen verlangt hatten, sind für ihn „Zettel verteilende Papiertiger, die uns nicht aus den Angeln heben können“, niemand sehne sich nach Rot-Grün zurück, die Opposition funke Land unter und stehe auf dem toten Gleis und ähnliche gelungene Metaphorik. SPD-Landeschef Olaf Scholz präsentiere lieber in Berlin ein Buch von Gregor Gysi, als in Hamburg präsent zu sein. Und ohnehin „wollen die Hamburger nur Ole von Beust als Bürgermeister und sonst niemanden“. Seine Stellvertreterin, Karin Koop, erinnerte gar an die „christliche Würde“, die von SPD und GAL verletzt werde, wenn sie den Bürgermeister im Parlament so hart angingen, wie sie es taten.

Stolzer Schillianer

Eiertänze besonderer Art hatten Schill-Fraktionschef Norbert Frühauf und sein Parteifreund, Bausenator Mario Mettbach, zu vollziehen. „Ich bin nach wie vor stolz darauf, ein Schillianer zu sein“, versuchte sich Mettbach in Kennedy‘scher Rhetorik. „Unscheinbar und blass“ sei die Opposition, sagte Mettbach und lieferte eine Selbstbeschreibung der eigenen Fraktion. Frühauf, der zu denen gehörte, die Parteigründer Ronald Schill bei seinem Auftauchen die Hand drückten, sagte zwar, Schills Attacken gegen von Beust seien „nicht zu beschönigen“, ansonsten drückte er sich jedoch um eine Stellungnahme herum, wie die Fraktion zu seinem ehemaligen Starsenator steht.

Der FDP blieb auch in der gestrigen Debatte die Rolle der Nichtssager in der Koalition. Fraktionschef Burkhardt Müller-Sönksen behauptete dem Ergebnis zum Trotz, „die Koalition der Vernunft hat heute ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis gestellt“. Die SPD forderte er auf, ihren Antrag für die nächste Sitzung, die Bürgerschaft aufzulösen, zurückzuziehen. Das Resultat für Nockemann sei „nicht sehr gut, aber hinreichend“.

Maaßlose Debatte

Angesichts der schwachen Auftritte am Rednerpult mussten die Rechts-Parteien anderswo ihr Mütchen kühlen. Gegen den stellvertretenden GAL-Fraktionschef Christian Maaß konstruierten die beiden Sitzungspräsidenten Berndt Röder und Peter Paul Müller (Schill) drei Ordnungsrufe und schlossen ihn von der Debatte aus. Den letzten kassierte er, weil er aus einer ZDF-Sendung zitierte, dass „in der Schill-Partei gelogen und betrogen“ werde.

SPD und GAL riefen daraufhin den Ältestenrat der Bürgerschaft zusammen, um klären zu lassen, ob das Zitieren aus einem Medium der Ehre der Hamburger Bürgerschaft abträglich sei. Nach einer halbstündigen Unterbrechung wurde die Sitzung kurz vor Redaktionsschluss fortgesetzt: Maaßlos und zitatefrei.