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: „Verrat in Santiago - Wer erschoss Salvador Allende?“ von Wilfried Huismann

Was am 11. September 1973 geschah ist ein zentraler Mythos der politischen Linken: Wurde Salvador Allende im belagerten und bombardierten Präsidentenpalast von Santiago de Chile erschossen, oder beging er Selbstmord? In den politischen Lagern wurden die Alternativen zu Glaubenssätzen: den Machthabern kam ein gescheiterter Selbstmörder gelegen, die Linken brauchten einen Märtyrer. Wenige Tage nach dem Putsch setzte Fidel Castro daher die Version vom bis zum letzten Atemzug kämpfenden Revolutionär in die Welt. Dabei wusste er von Augenzeugen, dass und wie sich Allende erschossen hatte: So schildert dessen Leibwächter Pablo Zepeda, der mit den – geradezu biblischen – zwölf Getreuen bis zu dessen Tod beim Präsidenten ausharrte, völlig glaubwürdig, wie Allende das Gewehr an seinen Kiefer ansetzte und abdrückte.

Dies ist nur eine der vielen erstaunlichen Erkenntnisse, die der Bremer Filmemacher Wilfried Huismann in seinem neuen Film vermittelt. Vielleicht war es nur eine Frage des richtigen Timings, aber jetzt, genau 30 Jahre nach Pinochets Putsch, wollen die alten Herren Zeugnis ablegen von den damaligen Vorkommnissen, viel Zeit bleibt ihnen dafür nicht mehr, und so antworten – oft erstmals –die Akteure von einst auf die entscheidenden Fragen. Dabei sind andere Aussagen als die Schilderung des Suizids noch erstaunlicher: So sind sich zwei damalige Putschisten darüber einig, dass Pinochet alles andere als der große Stratege hinter dem Putsch war, sondern als wankelmütiger Militär eher auf Seiten seines Freundes Allende stand und sein Fähnchen erst relativ spät nach dem Wind wehen ließ. Er sei wie eine Figur Shakespeares gewesen, die sich später, vom schlechten Gewissen zerfressen, zum gnadenlosen Despoten entwickelt. Tatsächlich werden die Ereignisse um den 11. September 1973 in der 45-minütigen Dokumentation als ein Drama geschildert, in dem es keine banalen Bösewichte, sondern nur von den Umständen getriebene Akteure gibt.

„Er war ein Romantiker, der zum Tode verurteilt war“, sagt der KGB-General Leonov über Allende. Verurteilt auch von den Sowjets: Sein demokratischerWeg in den Sozialismus entsprach nicht ihren Dogmen. Nicht der CIA, sondern der KGB wusste von den Umsturzplänen der chilenischen Rechten, so bestätigt es im Film auch der damalige US-Botschafter, der ansonsten in seiner Aussage keinen Hehl aus seiner Abneigung gegen Allende macht. Solche Zwischentöne hat Huismann geschickt eingefangen, deshalb stört es auch nicht, dass sein Film zum großen Teil aus den berüchtigten „sprechenden Köpfen“ besteht. Dazu gibt es pointiert eingesetztes Archivmaterial und einige in Chile nachinszenierte Szenen.

Huismann erzählt sehr differenziert und gebündelt – da muss man schon genau aufpassen, um alle Verwicklungen und Details mitzubekommen. Und weil man im Kino immer konzentrierter hinguckt als im Wohnzimmer vor der Glotze, lohnt es sich, den Film heute um 20 Uhr in der Schauburg anzusehen, auch wenn er am 15. September um 21.45 Uhr in der ARD gezeigt wird. Der Filmemacher wird sein Werk selbst vorstellen, anschließend gibt es noch ein Konzert von Ramon Gorigoitía, Ulli Simon und ihrer Band, die die schön melancholisch, jazzige Filmmusik zu „Verrat in Santiago`“ gemacht haben. Wilfried Hippen