Wenn eine EM zur Pflichtaufgabe wird

Die einen müssen den Titel holen, die anderen wollen nur sehen, wo sie stehen: In die Europameisterschaft in Barcelona gehen die deutschen Hockeyspieler und -spielerinnen mit unterschiedlichen Erwartungshaltungen

BARCELONA taz ■ Die Zielstellung ist schlicht. „Wir wollen hier Europameister werden,“ erzählt Dieter Schürmann, Teammanager der deutschen Hockeyspieler, dieser Tage in Barcelona jedem, der es hören mag. Und bislang erfüllt die Mannschaft treulich die Verbandsvorgabe: Gestern gab es nach einem 4:1 gegen Belgien zum Auftakt im zweiten Spiel den zweiten Sieg, ein glanzloses, aber stets souveränes 2:0 gegen Frankreich. Anschließend gewannen auch die deutschen Frauen 4:0 gegen Wales.

Zur Disposition in Katalonien steht auch eine vorzeitige Qualifikation für die Olympischen Spiele. Allerdings nur die Titelträger können schon das Ticket nach Athen lösen, die restlichen Olympiaplätze werden im kommenden März in Madrid ausgespielt. Für die Männer-Auswahl kann es aber aufgrund der Leistungen der vergangenen Monate eh nur um den Titel gehen. Bei dieser neunten Europameisterschaft , die nahe dem Olympiagelände von 1992 auf dem Montjuïc ausgetragen wird, lastet auf dem amtierenden Weltmeister allerdings nicht nur die Favoritenbürde, sondern auch Druck des Weltverbandes FIH. Der sieht es gar nicht gern, dass Trainer Bernhard Peters seinen Spielern zwei Wochen vor dem Turnier eine komplette Hockeypause verordnete und zur Champions Trophy nach Holland nur den so genannten Perspektivkader schickte, und reagierte mit einer offiziellen Verwarnung. Der Deutsche Hockey-Bund (DHB) verzichtete sogar darauf, den Hockeysport so attraktiv wie möglich zu präsentieren: Immerhin vier Spiel der Champions Trophy wurden live im TV übertragen. Peters aber war überzeugt, dass er seine besten Spieler, die ja immer noch Amateure sind, schonen musste, um um in Barcelona ganz vorne mitspielen zu können. „Dann hat man nach den anstrengenden Lehrgängen auch wieder richtig Lust zu spielen“, erläutert Vizekapitän Michael Green den Sinn der umstrittenen Maßnahme. Die geschickt exakt eine Woche vor Beginn der EM platzierte Champions Trophy beschloss der deutsche Nachwuchs denn auch auf dem allerletzten Platz – ohne Punktgewinn und mit 7:25 Toren.

Für die erste Wahl aber wäre – spätestens seit der überzeugend gewonnenen WM im vergangenen Jahr – etwas anderes als der EM-Titel eine Enttäuschung. Das nur auf wenigen Positionen gegenüber der Weltmeisterschaft von 2002 veränderte deutsche Team ist so erfahren wie kein anderes bei dieser EM, zwölf Spieler haben über 100 Länderspiele.

Sorgen ganz anderer Art hat dagegen Peters’ Kollege im Frauenbereich, Markus Weise. Der 40-Jährige war langjähriger Assistent des Männer-Bundestrainers, bevor er Nachfolger wurde von Peter Lemmen. Dieser war angetreten, die Frauen zurück in die Weltspitze zu führen, und trat vor eineinhalb Monaten überraschend zurück. Unmittelbar nach Gewinn der Champions Challenge, der die Frauen nach dreijähriger Abwesenheit aus den Top Six der Welt wieder in diese zurückgebracht hatte, teilte Lemmen seine Entscheidung dem DHB mit. Die Differenzen waren zu groß geworden.

Weise hat nun eine erste Bestandsaufnahme durchgeführt und glaubt, die momentanen Probleme seien hausgemacht. Die Spielerinnen hätten ihre Fitness zwar verbessert, aber noch immer fehlt es an Trainingseifer, diagnostizierte Weise. Von einer so breiten Spielerdecke wie Kollege Peters kann er eh nur träumen, eine Konkurrenzsituation gibt es im Frauenbereich praktisch nicht. Ob er selbst diese Probleme angehen wird, soll sich erst nach der Europameisterschaft entscheiden. Dass einiges zu tun bleibt, haben bereits die Ergebnisse der Vorbereitung gezeigt: Beim Turnier in Amstelveen fing man sich gegen Topmannschaften wie Argentinien, Australien und Holland klare Niederlagen ein.

So lautet das moderate Ziel für die Frauen zwar lediglich Halbfinalteilnahme, aber trotzdem ist Barcelona eine wichtige Standortbestimmung. „Die Spielerinnen müssen selbst realisieren, wie viel Arbeit nötig ist, um wirklich wieder den Anschluss an die Weltspitze zu finden“, meint Weise. Mittlerweile bangt das Team sogar vor Spielen gegen eigentlich zweitklassige Teams: Der Einstieg in die EM am Montag fiel mit einem 8:3 gegen die Ukraine und dem gestrigen 4:0 gegen Wales klarer aus als erwartet. Aber erst am Samstag kommt es für Weises Schützlinge zum ersten echten Test gegen das sich im Aufwärtstrend befindende England, das ähnliche Ziele wie die deutsche Mannschaft verfolgt. CLAUDIA KLATT