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Archiv-Artikel

Krieg der Vernachlässigten

VON FOUAD IBRAHIM

1. Der Krieg in Darfur – ein Konflikt um knappe ökologische Ressourcen?

Immer wieder wird behauptet, der Grund für den gegenwärtigen Krieg in Darfur sei der Streit zwischen Nomaden und Ackerbauern um die begrenzten Ressourcen Wasser, Ackerland und Weide, insbesondere in Zeiten der Dürre. Konflikte zwischen den mächtigen arabischen Nomaden und den sesshaften afrikanischen Bauern um Wasser und um Weidegründe waren in der Vergangenheit tatsächlich keine Seltenheit. In der Regel jedoch wurden sie von Stammesversammlungen geschlichtet, die auch Entschädigungen für die Opfer festsetzten.

Darfur hat im Gegenteil ausreichende Ressourcen, um seine sechs Millionen Einwohner zu ernähren. Es gab daher immer eine enge Symbiose zwischen Viehzucht und Ackerbau. Jeder hatte ein Recht auf Ackerland, Weide und Wasser und bekam diese Ressourcen durch die Stammesführer und dem jeweiligen Vertreter in den Dörfern (Sheikh) zugewiesen. In der Kolonialzeit wurden Regeln für die Wanderung der Nomaden im Land der Sesshaften festgeschrieben. Wanderungskorridore sicherten den Nomaden den Zugang zu Wasser und Weide und schützten die Felder der Ackerbauern vor der Zerstörung durch Viehherden.

Während in Süddarfur schon während der Kolonialzeit arabische Stammesführer herrschten, war das restliche Darfur das Land der indigenen afrikanischen Ethnien, die überwiegend Ackerbauern und zugleich Tierhalter sind. Nur in Norddarfur lebten auch arabischstämmige Kamelnomaden in kleineren Enklaven. Bis auf die nördliche Wüstenzone bieten alle Gebiete Darfurs geeignetes Weideland, vorausgesetzt, dass Trinkwasser in einer zumutbaren Entfernung verfügbar gemacht werden kann. Es ist wichtig zu betonen, dass die mobile Tierhaltung, wie sie in weiten Teilen Darfurs praktiziert wird, das optimal an die dort gegebenen natürlichen Bedingungen angepasste System ist.

Der größte Teil Darfurs erhält Jahresniederschläge zwischen 200 mm und 900 mm. Das Wasser sammelt sich in Trockentälern, so genannten „Wadis“, die im Süden und am Jebel-Marra-Massiv während der gesamten Regenzeit mit Wasser gefüllt sind und noch Monate später große Restseen enthalten. Die Darfuris bauen Dämme in den Wadis, graben Becken, um die sie Wälle errichten, und speichern so das saisonal fließende Wasser, um die Trockenzeit zu überdauern. Heute sind viele der Speicher, welche vor etwa vierzig Jahren angelegt wurden, allerdings zusedimentiert. Externe Hilfe wäre für das Ausbaggern wie für die Erneuerung der Wasserpumpen erforderlich. Denn es gibt reiche Grundwasservorräte.

Als Grundnahrungsmittel wird in Darfur Hirse angebaut. In Trockenjahren kann der Bedarf der Bevölkerung jedoch nicht gedeckt werden, so dass es immer wieder zu Hungersnöten gekommen ist. Landwirtschaftliche Beratung und technische Hilfeleistung sind in der von der Zentralregierung vernachlässigten Region weitgehend unbekannt.

Der Viehreichtum Darfurs ist beachtlich. Ende der Neunzigerjahre gab es allein in Nordsarfur 657.000 Rinder, 5,1 Millionen Schafe, 2,7 Millionen Ziegen und 1,566 Millionen Kamele. Der Wert dieser Viehbestände beträgt schätzungsweise etwa 2 Milliarden, die Jahresproduktion zirka 500 Millionen Dollar. Dies bedeutet eine Produktivität von annähernd 330 Dollar pro Kopf. Die Viehsteuer, die Herdenbesitzer jährlich zahlen müssen, ist ausreichend, um 18 Jahre lang die Gehälter aller Lehrer in Norddarfur zu zahlen. Trotzdem unterstützt die Regierung die Tierhalter nicht, weder durch tierärztliche Hilfe noch durch Rehabilitierung oder Neuerrichtung von Wasserstellen. Dabei könnte die Erschließung bislang ungenutzter Weidegründe das Ausbreiten der Wüste in altes Weideland verhindern. Dann wären Nomaden nicht mehr gezwungen, in Gebiete mit vornehmlich ackerbaulicher Nutzung auszuweichen.

2. Der Krieg in Darfur – ein ethnischer Konflikt zwischen Arabern und Afrikanern?

Die Bevölkerung Darfurs setzt sich aus über vierzig Ethnien zusammen und ist mehrheitlich indigen-afrikanisch. Neben vielen eigenen Sprachen wird das Arabische jedoch als Lingua franca verwendet. Die meisten Menschen sind sesshafte Kleinbauern.

Die ethnische Hauptgruppe bilden die Fur, welche vor allem im zentralen Bergmassiv Jebel Marra und in seinem Vorland siedeln. Die wichtigste Darfur-Rebellengruppe SLM/A (Sudan Liberation Movement/Army) gehört zu dieser Ethnie.

Bei der JEM (Justice and Equality Movement) spielen die Zaghawa die führende Rolle. Etwa die Hälfte des traditionellen Stammesgebiets der Zaghawa liegt im Tschad, die andere Hälfte im Sudan. Während der Dürrekatastrophen von 1972/73 und 1984/85 wanderten viele Zaghawa nach Süden ab und ließen sich nicht nur in ländlichen Gebieten, sondern auch in größeren Städten wie al-Fascher, Nyala und Omdurman nieder. Sie entwickelten sich im Exil zu erfolgreichen Kaufleuten und kontrollieren heute die Märkte in allen Städten Darfurs. Ihr Vermögen erwarben sie größtenteils in den erdölreichen arabischen Ländern. Der Zwang, außerhalb ihrer Heimat zu leben, lehrte sie, um die Anerkennung ihrer Bürgerrechte zu kämpfen.

Die dritte indigen-afrikanische ethnische Gruppe Darfurs sind die Masalit. Etwa die Hälfte von ihnen lebt im Tschad. Im Gegensatz zu den Zaghawa sind sie heute arm und verharren in ihrem Heimatgebiet. Bereits früher als die Zaghawa wurden sie zur Zielscheibe ethnischer Säuberungsaktionen, da sie sich dem Regime in Khartum widersetzten. All diese Gruppen sind – wie die gesamte Bevölkerung Darfurs mit Ausnahme der südsudanesischen Bürgerkriegsflüchtlinge – Muslime. Als bei Sudans Unabhängigkeit 1956 die Macht im Zentralstaat an die bereits im Verwaltungsapparat überrepräsentierten arabisch-muslimischen Nordsudanesen überging, geriet das Gleichgewicht unter den Bevölkerungsgruppen des Landes insgesamt ins Wanken. Es entbrannte der längste und blutigste Bürgerkrieg in Afrika – der Krieg im Südsudan, der seit 1955 mit einer elfjährigen Unterbrechung (1972 bis 1983) bis zu den 2004 geschlossenen Friedensverträgen andauerte.

In Darfur schaffte Staatspräsident Jaafar Nimeiri 1972 das System der „traditionellen Verwaltung“ durch lokale Autoritäten ab und entsandte arabischstämmige nordsudanesische Distriktverwalter. Den Stammesführern überließ er die undankbare Aufgabe des Steuereintreibens. In den Städten Darfurs bildete sich schnell eine einflussreiche Schicht fast ausschließlich aus dem Nordsudan stammender Beamter. Sie verbündete sich mit aus Nordsudan zugewanderten Händlern. Erst später gelang es den infolge der Dürren der Siebziger- und Achtzigerjahre abgewanderten Zaghawa, sich ebenfalls als Händler zu etablieren.

Heute stehen an der Spitze der Sozialpyramide in den Städten Darfurs die höheren Beamten, die Armeeoffiziere, die Angehörigen der Geheimpolizei sowie die großen Händler. Ihr Konsumverhalten gleicht demjenigen in Khartum: Sie leben zumeist in großen, von den Behörden bereitgestellten Häusern mit Satellitenfernsehen. Im Dienst tragen sie europäische Kleidung, abends und in der Moschee das weiße islamische Gewand und große weiße Turbane. Angehörige dieser Schicht blicken auf die dunkelhäutigere afrikanische Bevölkerungsmehrheit herab und beschränken Kontakte zu ihr auf das Notwendige. Die Hautfarbe ist in Darfur ein wichtiger Faktor für die soziale Rangordnung.

In der Mitte der Pyramide befindet sich eine schmale Schicht von Darfuris, tätig im Kleinhandel, im Handwerk und in der informellen Dienstleistung. Im unteren Bereich der Sozialpyramide ist die Mehrheit der Stadtbewohner angesiedelt – überwiegend Bauern, die während den Dürreperioden in die Städte gezogen sind, aber auch die gleichfalls in großer Armut lebenden südsudanesischen Bürgerkriegsflüchtlinge. Nur wenige von ihnen haben Arbeit, etwa als Helfer beim Entleeren der Kloaken von Stadthäusern.

Die Landbevölkerung Darfurs besteht überwiegend aus Hirsebauern mit Subsistenzanbau. Sie sind der hohen Schwankung der Niederschläge ausgesetzt. Ziegenhaltung ist eine wichtige Stütze ihrer Wirtschaft. Viele Männer suchen ihr Heil in der Arbeitswanderung in das benachbarte Libyen, ein illegales und risikoreiches Geschäft, das oft mit Verlusten endet.

3. Darfur – schon immer eine Krisenregion?

Noch vor neunzig Jahren war Darfur ein unabhängiges Sultanat. Erst im Jahre 1916, nach der Ermordung des Sultans Ali Dinar durch die Briten, wurde es gewaltsam in das anglo-ägyptische Kondominium „Sudan“ eingegliedert. Ali Dinar war nach dem Zusammenbruch der islamischen Mahdiyya-Bewegung im Sudan 1898 zum Herrscher über das unabhängige Darfur geworden und hatte erbitterten Widerstand gegen die Briten geleistet. Sowohl sudanesische als auch britische Darstellungen der Geschichte des Sudans vernachlässigen die bedeutende Rolle, welche Darfur im Kampf gegen die Kolonialmächte spielte.

4. Wie kam es zum aktuellen Konflikt?

Da die in Darfur als „Araber“ bezeichneten Kamel- und Rindernomaden oft außerhalb ihrer eigenen Hoheitsgebiete herumziehen, sind sie seit jeher gut bewaffnet. Als im benachbarten Tschad in den Achtzigerjahren Bürgerkrieg herrschte, fanden sie leichten Zugang zu modernen Maschinengewehren. Ermutigt durch die arabisch dominierte Verwaltung, konnten sie Razzien gegen die Bauern und die halbnomadischen Zaghawa durchführen mit dem Ziel, ihre Macht auf alle Weidegebiete Darfurs auszudehnen.

1986 bildete Sudans Regierung unter diesen Gruppen die ersten bewaffneten Milizen, insbesondere unter den Messiriya und den Rezeigat, welche die an der Südgrenze Darfurs lebenden Dinka zurückdrängen sollten. Die von den Milizen verübten Gewalthandlungen erstreckten sich bald bis Zentraldarfur. Die gegenwärtige Regierung betreibt die gleiche Politik und versucht, die sich allmählich bildende Opposition in Darfur gewaltsam zu beseitigen. Einige arabische Gruppen werden mit Waffen versorgt. Die Überfälle erfolgen meist durch Reitertrupps, nicht selten von regulären Regierungstruppen begleitet und durch Armeehubschrauber unterstützt. Angesichts dessen sind die afrikanischen Gruppen chancenlos.