: Vorbereitungen zu einer Abwesenheit
Eine Untergeherin: Isabel Coixets Spielfilm „Mein Leben ohne mich“ erzählt von einer Frau, die nur noch wenige Wochen zu leben hat und ungerührt dabei zuschaut, wie sie aus der Welt geht. Das Sterben wird nicht mit Sinn aufgeladen, die Krebserkrankung nicht als dramaturgischer Kniff benutzt
von CRISTINA NORD
Gegen Ende des Filmes besucht Ann (Sarah Polley) ein Gefängnis. Schon seit Jahren sitzt ihr Vater (Alfred Molina) dort ein. Seit der Inhaftierung haben sich die beiden nicht mehr gesehen. Während ihres Gesprächs trennt sie eine Scheibe. Auf dem Glas entstehen Spiegelungen, sodass sich das Gesicht der Tocher auf das des Vaters legt wie in einer Überblendung. Es gibt eine ähnliche Szene in Pedro Almodóvars jüngstem Spielfilm, „Sprich mit ihr“: Marco (Dario Grandinetti) besucht Benigno (Javier Camara) im Gefängnis. Auch sein Gesicht wird von einer trennenden Glasscheibe reflektiert, der gleiche Überblendungseffekt tritt ein, und im Anschluss an die Begegnung wird einer der beiden sterben. Mit dem Unterschied, dass es in „Sprich mit ihr“ der Inhaftierte ist, in Isabel Coixets Film „Mein Leben ohne mich“ die junge Besucherin.
Pedro und Agustín Almodóvars Produktionsfirma El Deseo hat „Mein Leben ohne mich“ koproduziert. Aber Isabel Coixet, die junge Regisseurin, die in Kanada und in Spanien arbeitet, weist jede ästhetische Prägung von sich. Erinnert die Sorgfalt, mit der in ihrem Film die Räume gestaltet und fotografiert werden, nicht an das Stilbewusstsein des spanischen Regisseurs? „Nein, nein, das sagen Sie nur, weil Almodóvar in den Credits steht.“ Wenn man schon von Einflüssen spricht, kommt Coixet eher das Kino Wong Kar-Wais in den Sinn.
„Mein Leben ohne mich“ hatte das Pech, bei der diesjährigen Berlinale wenig Beachtung zu finden. Das Medienecho war nicht groß. Verdient gewesen wäre es. Denn Coixet kann sich auf ein Ensemble unverbrauchter und überzeugender Schauspieler verlassen – unter ihnen Leonor Watling, Mark Ruffalo und die Hauptdarstellerin Sarah Polley, die aus Filmen Atom Egoyans bekannt ist. Außerdem hat sie mit Jean Claude Larrieu einen Kameramann engagiert, der den Wegen der Figuren, ihren Dialogen und ihrer Umgebung herausragende Bilder abgewinnt. Larrieus Kameraführung geht weit über das übliche Einerlei von Schuss und Gegenschuss hinaus. So ist gewährleistet, dass nicht die Dialoge, sondern die Bilder die jeweiligen Situationen erhellen.
„Mein Leben ohne mich“ verwehrt sich zudem jeder Sentimentalität, obwohl das Sujet genug Anlässe dafür böte. Schließlich geht es darum, dass Ann Krebs hat und nur mehr wenige Wochen leben wird. Statt zu verzweifeln, fertigt sie eine Liste der Dinge an, die sie bis zu ihrem Tod tun will. Dazu gehört: einen Geliebten haben, sich eine neue Frisur zulegen, zum Meer fahren, ihrem Mann eine neue Frau und damit ihren Töchtern eine neue Mutter suchen.
Denkt man daran, wie andere Filme – Chris Columbus’ „Seite an Seite“ zum Beispiel oder Carl Franklins „Familiensache“ – das Sterben aufladen, wie sie dem Tod Sinn verleihen wollen und ihn doch nur als dramaturgischen Kniff benutzen, bildet „Mein Leben ohne mich“ eine erfreuliche Ausnahme. Denn Nonchalance und Melancholie halten sich die Waage. Um die Schwere der Situation zu verdeutlichen, bedarf es keines aufgeblähten Soundtracks. Es reicht kontrapunktisch eingesetzte Leichtigkeit: Orlando de la Rosas Bolero „Que emoción“ zum Beispiel oder ein Glasperlenvorhang, auf dessen glitzernder Bewegung die Kamera für eine Weile verharrt, nachdem Ann in Ohnmacht gefallen ist und die Perlenschnüre beinahe mitgerissen hätte.
Wenn dabei etwas befremdet, so ist es die Tapferkeit der Protagonistin. In keinem Augenblick begehrt Ann gegen die Krankheit auf. Sie fügt sich, und das wirft Fragen auf: Warum richtet es Coixet so ein, dass die Figur ungerührt zuschaut, wie sie aus der Welt geht? Warum setzt Ann alles daran, ihre Abwesenheit so vorzubereiten, dass man sie kaum bemerken wird?
Das hat etwas Unbarmherziges, und „Mein Leben ohne mich“ löst die Ambivalenz dieser Perspektive bis zum Ende nicht auf. Vielleicht liegt das daran, dass der Film sich gegen die Illusion einer großen Flucht verwahrt. Er weiß, dass es unehrlich wäre, sich gegen das Verstreichen der Zeit zu stemmen oder die Verhältnisse aussichtsreicher zu machen, als sie sind. Die kleinen Fluchten indes lässt er zu: die Augenblicke, in denen Ann das Hamsterrad aus Putzjob, Haushalt und Familie anhält. Dann sitzt sie auf dem Beifahrersitz eines Wagens, neben ihr ein Mann, den sie kaum kennt, draußen regnet es in Strömen, was tatsächlich an die vergeblichen Liebesszenen Wong Kar-Wais erinnert. Und dazu erklingt eine sanfte Canzone Gino Paolis, „Senza Fine“: „Du bist ein Augenblick ohne Ende.“
„Mein Leben ohne mich“, Regie: Isabel Coixet. Mit Sarah Polley, Leonor Watling, Deborah Harry u. a., Kanada/Spanien 2003, 102 Min.