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Archiv-Artikel

Mehr Reform, bitte!

Schulleiter sind entsetzt über die Debatte um Rechtschreibreform. Statt rückwärts zu diskutieren, solle man endlich die Großschreibung abschaffen. Das bringe den Schülern Erleichterung beim Lernen

VON MIRJAM DOLDERERUND SABINE AM ORDE

Zurückhaltend ist Uwe Schüsterl nicht. „Die haben doch wohl eine Macke“, urteilt der Leiter der Hemingway-Oberschule in Mitte – und meint den Axel-Springer- und den Spiegel-Verlag damit. Die beiden Unternehmen hatten am Freitag angekündigt, in ihren Publikationen zur alten Rechtschreibung zurückzukehren und damit eine neue Debatte um die Rechtschreibreform entfacht. Die Süddeutsche Zeitung will sich nach eigenen Angaben anschließen.

Verstehen kann Schüsterl das nicht. „Wenn, dann sollte man doch nach vorne reformieren“, sagt der Realschulleiter. „Eine Rückkehr zur alten Rechtschreibung würde Lehrer und Schüler verunsichern.“ Damit spricht Schüsterl den meisten Berliner SchulleiterInnen aus dem Herzen. „Völlig unbegreifbar“, „unsinnig“, „verantwortungslos“, so reagierten gestern, am ersten Tag des neuen Schuljahrs, auch seine KollegInnen auf den Vorstoß, wieder zur alten Rechtschreibung zurückzukehren.

In Berlin lernen die Kinder bereits seit 1998 nach den neuen Regeln. Sechs Jahre nach der Einführung hat damit der erste Jahrgang die Grundschulen komplett mit der neuen Rechtschreibung durchlaufen. Inzwischen haben über 180.000 SchülerInnen nach den neuen Regeln schreiben und lesen gelernt. „Und das ist doch ein Faktor, über den man nicht einfach hinweggehen kann“, meint Inge Hirschmann, Leiterin der Kreuzberger Heinrich-Zille-Grundschule.

GrundschullehrerInnen loben vor allem „die größere Logik“ der neuen Rechtschreibung, wie etwa die Regelung mit den drei Konsonanten („Schifffahrt“) oder mit den S-Lauten. Karin Babbe, die die Erika-Mann-Grundschule in Wedding leitet, sieht darin eine „Erleichterung“ für die Kinder. „Sie sind erfolgreicher und das ist die Kraft für weitere Motivation“, so Babbe. Das gelte besonders für Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache. An der Erika-Mann-Grundschule sind das fast 80 Prozent. Auch ihr Kollege von der Spreewald-Grundschule in Schöneberg, Erhard Laube, hat beobachtet, dass die neue Rechtschreibung den Kindern leichter falle. „Es werden deutlich weniger Fehler gemacht als zuvor“, sagt Laube.

Babbe versteht die ganze Aufregung nicht. „Es gibt doch überhaupt keinen Grund, warum das zurückgenommen werden sollte“, meint die Weddinger Schulleiterin. „Statt darüber zu diskutieren, sollte man lieber an die Groß- und Kleinschreibung ran.“ Groß oder klein, zusammen oder getrennt: Hier wünschen sich die meisten LehrerInnen einen weiteren, weitaus größeren Reformschritt – denn hier werden auch die meisten Fehler gemacht. „Aber da hat man sich nicht rangetraut“, meint auch die Kreuzberger Schulleiterin Hirschmann. „Die Reform ist zu kurz gegriffen, aber zurück wollen wir nicht.“ Denn das verunsichere nicht nur Schüler und Lehrer, sondern koste auch: „Dann müssen alle Bücher wieder neu angeschafft werden.“

Ähnlich sieht es Bildungssenator Klaus Böger (SPD), der sich deutlich für die Beibehaltung der neuen Rechtschreibregeln ausgesprochen hat. In den Berliner Schulen werde sich am Prinzip der neuen Rechtschreibung nichts ändern. Die Entscheidung der Verlage sei „nicht hilfreich“, so der Bildungssenator. Aus seiner Sicht sei die Aktion der beiden Medien „nicht weltbewegend und sollte auch nicht überschätzt werden“.

Der Vorsitzende des Landeselternausschusses an den Berliner Schulen, André Schindler, hat den Versuch von Medien, zur alten Rechtschreibung zurückzukehren, als „Entscheidung einer Alt-Männer-Generation“ kritisiert. Eine Rückkehr zur alten Schreibweise sei ein Rückschritt ohne Nutzen. Es entstünden Kosten, die bei der ohnehin vorhandenen Knappheit der Finanzmittel für die Schulen nicht zu vertreten seien. Mit solchen Maßnahmen würden „unnötig Ressourcen verschwendet“.