: Junger SPD-Geschäftsführer tot
Andreas Matthae galt als Hoffnungsträger der Berliner SPD. Erst im Juni kam er auf seinen neuen Führungsposten. Der 35-Jährige starb am Wochenende. Staatsanwaltschaft geht von Selbstmord aus
VON STEFAN ALBERTI
In der SPD dürfe man inzwischen ruhig Geld haben, hat Andreas Matthae mal gesagt, als er yuppiemäßig mit Milchkaffee am Gendarmenmarkt statt mit Bier in der Eckkneipe saß. „Nur richtig zeigen darf man es nicht.“ Sonntag wurde der 35-jährige SPD-Landesgeschäftsführer und Exkneipier erhängt gefunden. Die Staatsanwaltschaft geht von Selbstmord aus, und in seiner Partei ist zu hören, dass nicht zu viel, sondern zu wenig Geld dabei eine Rolle gespielt haben soll.
Die Nachricht von seinem Tod schockte Parteifreunde, Kollegen, frühere Angestellte und Geschäftsfreunde. Bestürzt und betroffen sei er über seinen Tod, sagte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit. Er würdigte Matthae als „junges, hoffnungsvolles Talent in der Berliner Politik“. Landespartei- und Fraktionschef Michael Müller sagte, die SPD verliere mit ihm einen sehr engagierten und sehr talentierten jungen Menschen.
Trotz seiner erst 35 war Matthae eine feste Größe bei der SPD. Er war an den Verhandlungen mit der PDS beteiligt und bekam die heikle Aufgabe, die Präambel für den Koalitionsvertrag zu entwerfen. Bis er Ende Juni hauptamtlicher Geschäftsführer wurde, war er Vize-Parteichef.
Der Geschäftsführerposten war die zweite große Chance für Matthae. Die erste ging vor zwei Jahren daneben. Da kandidierte er mit 33 für den Bundestag, das Direktmandat im Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg galt als sicher für die SPD. Doch nicht er, sondern überraschend Christian Ströbele gewann. Danach war Matthae über Monate von der politischen Bildfläche verschwunden. Ein Parteifreund spricht von wochenlangen schweren Depressionen. Ströbele erinnerte sich gestern an ihn als „sehr fairen Wahlkämpfer“.
Im Frühjahr 2003 trat Matthae wieder in Erscheinung, als er im Privatisierungsstreit innerhalb der SPD vermittelte. Trotz Vorstandsposten kritisierte Matthae seine Partei mehrfach offen. Im März etwa forderte er von ihr eine sozialere Politik.
Parallel dazu war Matthae Gastronom, erst im „Sol y Sombra“ am Oranienplatz, dann ein Jahr lang in der Reinhardtraße, nahe beim Bundestag. Dort, im „Piccolo“ und der angegliederten „Weinbotschaft“, war Sonntag abrupt Feierabend. Über einen Anruf habe er die Nachricht bekommen, sagt Daniel Frenzel, sein früherer Oberkellner und Nachfolger als Pächter, „da haben wir erst mal dichtgemacht.“
Gestern war die mit Dutzenden von Politikerfotos dekorierte Kneipe wieder geöffnet. Frenzel hatte Anfang August die Pacht von Matthae übernommen, der sich ganz auf seinen neuen hauptamtlichen Job bei der SPD konzentrieren wollte.
Weder Frenzel noch Verpächter und Alt-SPDler Friedel Drautzburg von der „Ständigen Vertretung“ wollten von wirtschaftlichen Schwierigkeiten wissen. „Wir haben keine nennenswerten Probleme mit ihm gehabt“, sagte Drautzburg. Nichts habe bei seinem letzten Treffen im Juni auf Selbstmord hingewiesen. Stattdessen gab es „Lachen, Perspektiven, Politisieren.“
Auch Mitte Juli, bei einem großen SPD-Empfang, wirkte Matthae wie eh und je. Ein Lächeln im Gesicht, das meist ein bisschen spöttisch wirkte, gelassen, cool. Bloß in neuer Funktion offizieller, in Anzug statt mit Baseballmütze wie früher manches Mal. Nichts deutete bei oberflächlicher Begegnung darauf hin, dass er Probleme haben könnte, die ihn in den Selbstmord trieben. Parteifreunde, die sich nicht nennen lassen wollen, berichten hingegen von finanziellen Schwierigkeiten, von denen die SPD erst vergangene Woche erfahren habe. Von aussichtsloser Lage ist die Rede. Und davon, dass Matthae deshalb möglicherweise als Parteigeschäftsführer nicht haltbar gewesen wäre.
Sollte dem so sein, wird die SPD die Frage beantworten müssen, wieso all das an ihr vorbeigehen konnte. Für sie war Matthae neben dem neuen Parteichef Michael Müller zentrale Figur eines Neubeginns, nachdem der frühere Vorsitzende Peter Strieder im April zurückgetreten war. Er war auch selbst als Strieder-Nachfolger im Gespräch. Wie sehr die SPD auf ihn setzte, zeigt die aktuelle Ausgabe der Parteizeitung: Die machte einen Tag vor seinem Tod mit einem Matthae-Interview auf. Thema: Die zukünftige Politik der SPD.