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Archiv-Artikel

Roter Stern über Püttlingen

Im Kern gehe es noch immer um dasselbe: Die Gesellschaft gerechter machen

AUS PÜTTLINGENKLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

Der kleine korpulente Mann strahlt: „Totgesagte leben länger!“, sagt er triumphierend. Dazu grinst er breit. Franz Hertel (70) ist der unumstrittene Boss der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) im saarländischen Püttlingen, dicht an der Grenze, fast schon in Frankreich. Hertel und seine „Leute“ haben für eine „Sensation“ gesorgt, wie selbst die Saarbrücker Zeitung, die zuvor „so gut wie nie“ (Hertel) über die DKP berichtet habe, konstatieren musste.

Das war am 14. Juni. In Püttlingen mit seinen 20.800 Einwohnern hatte es die DKP einen Tag zuvor geschafft, ihre Sitze im Stadtparlament zu verdreifachen: von zwei auf sechs. Und das bei einer (fast) rein katholischen Wohnbevölkerung. Darum hatte Hertel vor der Wahl auch nicht das aktuelle Parteiprogramm der DKP verteilt, sondern „die zehn Gebote für Püttlingen“. Gebot Nummer eins: „Die Menschen in den Mittelpunkt stellen“. Gebot Nummer zwei: „Arbeit – ein elementares Grundrecht“. … Und Gebot Nummer zehn: „Verlässlichkeit und Engagement“. 15,6 Prozent der Wähler votierten für die DKP, vor fünf Jahren waren es nur 6,1 Prozent.

Die DKP gewann 895 Stimmen dazu. Die SPD verlor 911. Und Bürgermeister Martin Speicher von der CDU konnte gerade noch so die absolute Mehrheit retten. Die DKP allerdings sitzt jetzt den Sozialdemokraten in Püttlingen, die mit 22,3 Prozent ihr schlechtestes Wahlergebnis seit dem Anschluss des Saarlandes an die Bundesrepublik (1957) erzielten, schon direkt im Nacken.

Und das freut ihn dann schon sehr, den Franz Hertel (70). Die grauen Haare zurückgekämmt, blitzende Augen hinter der Brille, sitzt er in seinem Haus, das an der steilsten Straße im Ort steht. Wenn er aus dem Fenster schaut, kann er sein ganzes (rotes) Reich überblicken. Und tatsächlich hatte es Hertel kommen sehen, hatte den sozialdemokratischen Kollegen im Stadtparlament die verheerende Niederlage schon im Mai prophezeit – mit Verweis auf die Bundespolitik: „Eine Partei, die Rentner, Arbeitslose und Sozialversicherte nach Strich und Faden betrügt und immer ärmer macht, kann auf keine Zustimmung rechnen.“ Wer das nicht begreife, wie die Sozialdemokraten in Püttlingen, werde baden gehen. Jetzt diagnostiziert er „Schwindsucht“ bei den Sozis. Und es ist nicht so, dass ihn das stören würde.

Püttlingen: Die neue und wohl auch letzte Hochburg des realen Sozialismus auf deutschem Boden. Kontakte zur letzten Hochburg draußen in der weiten Welt haben Hertel und seine „Leute“ schon längst geknüpft: nach Kuba. Warum aber wurde die DKP in Püttlingen nach der Wende nicht zu einem Ortsverein der PDS? „Kein Genosse hier wollte damals rosarot gewendet werden“, erinnert sich Hertel. „Da hätte man sich ja gleich der SPD anschließen können.“ Und überhaupt, was da in Berlin und in Mecklenburg unter Beteiligung der PDS aktuell für ein Sozialabbau betrieben werde, sei ja eine „nachträgliche Bestätigung“ für diese „kluge Entscheidung“.

Seit knapp 35 Jahren ist der pensionierte Betonfacharbeiter Franz Hertel in Stadt und Land (Bezirk) für die Partei aktiv. Und jetzt ist er ihr einziger Aktivposten in Deutschland. Nach dem Zusammenbruch der Regime im Osten und dem „Anschluss“ (DKP) der DDR an die Bundesrepublik galt die Partei als Auslaufmodell. Da passte der Refrain einer Ballade des kommunistischen Bänkelsängers Franz-Josef Degenhardt über den Niedergang der katholischen Kirche wie die (linke) Faust aufs Auge: „Aus und vorbei. Da hilft auch kein Jammern, kein Beten, kein Trick.“

Die meisten Ortsvereine der DKP gingen in denen der PDS auf, andere bluteten einfach so aus. Die Parteiführung verbreitete noch ein paar Jahre lang die Mär vom „Sozialstaat DDR“, der von den „bösen Ostlandrittern“ aus Westdeutschland okkupiert worden sei, bis auch ihnen kaum noch ein Mensch zuhörte. Und jetzt das: Plötzlich leuchtet der rote Stern wieder auf – und ausgerechnet über Püttlingen.

Die (gestraffte) Parteiführung ist noch immer aus dem Häuschen. Der Vorsitzende der Bundespartei, Heinz Stehr, und der Chefredakteur des Parteiorgans UZ (Unsere Zeit) hätten noch am Wahlabend angerufen und ihm gratuliert. Und auch Hertel freut sich noch Wochen nach dem Coup wie ein Schneekönig. Nirgendwo sonst im Saarland (rund 300 Parteimitglieder) säßen schließlich noch Kommunisten in den Rathäusern. Und auch anderswo in Deutschland, so Hertel, müsse man Abgeordnete der DKP „leider mit der Lupe suchen“. Im Ruhrgebiet, gut, da seien noch ein paar Genossen in den Rathäusern vertreten und im hessischen Mörfelden-Walldorf – Mandatstendenz fallend.

Nur in Püttlingen geht es aufwärts. Hertel genießt den Erfolg und die späte Anerkennung durch die Parteiführung, verweist aber pflichtbewusst auch auf die „vielen Genossen und Freunde“ in Püttlingen, die alle einen „prima Wahlkampf gemacht“ hätten. Zur neuen Fraktion gehört seine Schwiegertochter Dina Hertel (48). Und Herr und Frau Kuhn, die nicht Parteimitglieder sind. Er (50) ist Maschinenbautechniker, sie (48) kaufmännische Angestellte. Dazu kommt die Hausfrau Edith Albert (38). Und den Verkaufsfahrer Hans Schwindling (53) nicht zu vergessen, der sitzt gemeinsam mit Hertel schon in der vierten Legislaturperiode im Stadtparlament. Fünf weitere Kandidaten blieben leider auf der Strecke, darunter der Bürokaufmann Ernst R. Hertel (47), der Sohn von Franz Hertel.

Die DKP in Püttlingen: Eine Familienangelegenheit? Auch. Und Franz Hertel ist der Hans Dampf in allen Gassen. Mischt in knapp zehn Vereinen mit, bei einigen auch im Vorstand. Organisiert Veranstaltungen wie das „Frühlinksfest“ im Mai mit Kaffee, Kuchen und Spezialitäten vom Grill – und der „Schalmeienkapelle“ aus Dudweiler. Er setze sich eben „für die kleinen Leute“ (Hertel) ein.

Gegen die Schließung der Püttlinger Poststelle sammelten die Genossen fleißig Unterschriften. Und Hertel organisierte den Protest gegen die Stilllegung der Firma SKF (Kugelfischer) im benachbarten Völklingen, die bis zur Schließung der größte Arbeitgeber der Region gewesen ist. Sein „Grundprinzip“ sei es, „stets mit den Bürgern zu diskutieren und sie zu informieren“, sagt er. Seine „Geheimwaffe“ (Hertel) dabei: Die alle zwei Monate erscheinende Stadtzeitung der DKP, pro und contra. Die Genossen verteilen das Blatt flächendeckend. So kommt der Kommunismus in fast jedes Wohnzimmer oder wenigstens in die Briefkästen.

Vor der Wahl plakatierten Hertel und Genossen ihren Slogan in der ganzen Stadt: „DKP – die linke Antwort in Püttlingen.“ Natürlich sei das teuer gewesen, erzählt Hertel. „Bettelbriefe“ habe er darum geschrieben. Nicht nur an Genossen und Sympathisanten, sondern auch an „die Geschäftswelt“. Und die öffnete tatsächlich Herz und Beutel für „den Franz“. 2.000 Euro hätten Geschäftsleute gespendet, allein der Metzger 350. Die Wahlkampfmaschine lief wie geschmiert.

Dass Hertel nur Tage vor der Wahl seinen 70. Geburtstag feierte und der lokale Anzeiger das Ereignis, an dem auch der Bürgermeister teilnahm, (ausgiebig) würdigte, war natürlich auch „sehr hilfreich“. Hertel – die Wahlkampfzugmaschine. Und wo blieb dabei der Kommunismus? Manchmal auf der Strecke. Es wüssten doch alle, dass er Kommunist sei, deshalb müsse er das nicht immer extra betonen, erzählt er bei Spaghetti Bolognese in der Brasserie im Sport- und Kulturzentrum „Trimmtreff“ – wild gestikulierend und mit roten Saucenflecken auf dem schwarzen Hemd.

Am „Begriff Kommunismus“ reibt er sich heute ohnehin ein bisschen. „Etwas Zeitgemäßeres“ dürfe es schon sein. Eingefallen ist ihm allerdings auch noch „nichts Besseres“. Und im Kern gehe es ja noch immer um dasselbe: „Die Gesellschaft gerechter gestalten.“ Und die „Herrschaft der Konzerne brechen“. Und deshalb bleibt es vorläufig dabei: Kommunismus. Und Kommunisten. Schließlich gehörte Hertel bis zu ihrem Verbot („Zerschlagung“) der KPD an und ist Gründungsmitglied der DKP.

Funktionär der IG BAU war Hertel auch – bis zu seinem „Rausschmiss“. Wegen der „fiesen Behandlung“ eines Kollegen habe er die Gewerkschaftsführung im Parteiblatt scharf angegriffen. „Und das war dann der Vorwand dafür, den unbequemen Kommunisten Hertel aus der Gewerkschaft zu verbannen“, sagt er. Das sei schon bitter gewesen. Und dann die Diffamierungen vor allem von der Union, auch im Stadtparlament. „Die sind ausgezogen, wenn ich zum Rednerpult gegangen bin. Und einige wollten die Polizei holen, als junge Genossen auf Plakaten eine atomwaffenfreie Zone für Püttlingen forderten.“ – „Zum Äußersten“ sei es dann aber nicht gekommen.

Heute gibt es (fast) keine jungen Leute mehr bei der DKP in Püttlingen. Hertel kämpft – um die Zukunft der Partei. Einen, der Che Guevara persönlich kannte, lud er im April zum Referat. Rund 40 Jugendliche seien in den Kulturbahnhof gekommen. Ein „faszinierender Abend“ (Hertel). Ein paar Jugendliche machten jetzt mit. Parteimitglieder aber wollten sie – noch – nicht werden. Aber jetzt, mit demWahlsieg im Rücken, könne sich das ändern. Es müsse wieder vorangehen mit dem Kommunismus – in diesen Zeiten, wenigstens in Püttlingen.

Und nach der „großen Ermutigung“ an der Saar vielleicht auch noch anderswo. Hertel jedenfalls macht weiter – „bis zum Umfallen“. Kommunist sei man schließlich „bis zum letzten Atemzug“. Träumt er noch von der Weltrevolution? Manchmal ein bisschen. Wenn die Kubaner wieder einmal nach Püttlingen kommen und „Revolutionslieder“ spielen. Oder wenn die Abendsonne glutrot auf die Völklinger Hütte scheint, in der vor 1933 fast alle Püttlinger arbeiteten. Damals war die KPD eine Macht in der Stahlkocherei. Noch vor der SPD. „Vorwärts – und nicht vergessen!“