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Archiv-Artikel

Montags auch im Norden

Vom Osten lernen heißt...: Nicht nur in Magdeburg und Leipzig gehen Agenda-Wütende auf die Straße. Auch in Hamburg, Hannover, Braunschweig oder Goslar bilden sich Gruppen, um gegen den drohenden Sozialabbau zu protestieren

„Vielleicht ist es im heißen Herbst schon zu spät, Hartz IV zu stoppen“

Aus HannoverKai Schöneberg

„Das sind nicht mehr die blöden Ossis“, sagt Wolfgang Kraemer vom Braunschweiger Bündnis gegen Sozialabbau und Billiglöhne. „Von denen können wir richtig was lernen, nämlich Solidarität.“ Wenn die SPD-Granden in Berlin granteln, weil Ostdeutsche am Montag mal nicht gegen Diktatoren protestierten, haben sie eine Entwicklung übersehen: Auch im Westen gehen die Menschen gegen Sozialabbau auf die Straße – noch vereinzelt, aber auch am liebsten montags. Wegen des schönen, gut eingeführten Namens.

Neben dem Ruhrgebiet zeichnet sich derzeit Norddeutschland als Schwerpunkt ab, allen voran einstige SPD-Hochburgen. Während in Hamburg vorgestern 70 Protestler Richtung Gänsemarkt zogen, waren es in Braunschweig schon 250. Neben PDS, MLDP oder Gewerkschaftlern protestierten auch Aktive vom Verband allein erziehender Väter mit. Nur von der Sozialdemokratie ward kaum jemand gesehen. Mitinitiator Kraemer: „Wir haben den Kontakt zu denen komplett abgebrochen. Das ist ohnehin so, als ob du dich mit einer Mauer unterhältst.“

Ob in Salzgitter, Göttingen oder Wolfsburg – überall bilden sich derzeit Initiativen gegen den Sozialkahlschlag. Heinz-Dieter Grube von der Arbeitslosengruppe „Agenda 2010 kippen“ in Hannover plant gerade die erste Montagsdemonstration in Hannover. Plakate mit Panzerknackern, die auf „Sozialraub“ hinweisen, sind in Vorbereitung. Am 6. September soll es losgehen, Grube erwartet mindestens 300 Demonstranten: „Wenn wir 2.000 Leute werden, würde mich das aber auch nicht wundern.“ Auch wenn die PDS längst auf den Protestzug aufgesprungen ist, plädiert Grube für eine Abgrenzung zu den Parteien: „Die Leute drehen wegen der Politikverdrossenheit sonst sofort ab.“

Axel Troost von der Bremer „Wahlalternative“ will beim nächsten Landestreffen zumindest überlegen, ob er zu neuen Montagsdemonstrationen an der Weser aufrufen will: „Vielleicht ist es im heißen Herbst schon zu spät, Hartz IV zu stoppen – da nehmen wir lieber den heißen Sommer.“ Währenddessen nimmt die Bildung einer linken Alternative zum Schröder-Abwählen in vielen Städten konkretere Züge an: In Niedersachsens Hauptstadt will sich Ende August aus Teilen der hannoverschen Linken des einstigen SPD-Ratsherren Detlef Schmidt ein Landesverband formieren.

In Schleswig-Holstein fangen die Gysis im Geiste gerade erst mit der Gruppenbildung an: In Elmshorn oder Oldesloe haben sich erste Ortsgruppen der „Wahlalternative“ gebildet, in Kiel will sich morgen ein Initiativkreis formieren. Allerdings dürfte es für einen Antritt zur Wahl am 20. Februar 2005 nicht mehr reichen: Eine Urabstimmung, die darüber entscheiden soll, ob aus dem Projekt eine Partei werden soll, ist erst für Januar geplant.

Auch andere lokale Projekte begehren gegen Hartz IV und die Folgen auf: Bodo Arend aus Goslar hat es nicht nur im Harz schon zu relativer Berühmtheit gebracht. Der langzeitarbeitslose Krankenpflegehelfer trat bereits – stellvertretend für viele – in der ZDF-Talkshow „Berlin Mitte“ auf. Nun bastelt er gerade an einer Klage gegen das Gesetz. Wegen „menschenunwürdiger Eingriffe in die persönliche und soziale Freiheit Arbeitsloser“ will er notfalls bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gehen – und sucht noch einen Anwalt, der kein Geld will. Morgen zwischen 13 und 18 Uhr können Betroffene nicht nur aus Goslar am Telefon über ihre Sorgen reden (Tel: 05321/2452). Arend: „Diese Berichte werden wir der Klage in Straßburg beifügen.“

www.braunschweiger-gegen-sozialraub.de www.gegen-sozialabbau.de www.wahlalternative.de