: Konsum trifft KaDeWe
Alles ist grau. Die Zukunft des Konsum, der Nachmittagshimmel und auch das Hotel an der Landsberger Allee. Vor dem toben 200 Rentner und bangen um das Geld, das sie in die Konsumgenossenschaft Berlin investiert haben. Die steht vor dem Ruin
von JAN ROSENKRANZ
Es war doch immer so gemütlich. Es war doch irgendwie das letzte bisschen DDR. Die Karten für die Friedrichstadtpalast-Revue gab es für die Hälfte. Manchmal traf man sich sonntags in der Ausflugsgaststätte Rübezahl auf ein Freibier. Und einmal jährlich bekam jedes Mitglied auf seine Einlage eine hübsche Rendite. 4,5 oder 6 Prozent waren immer drin. Das war mehr, als ein Sparbuch einbrachte. Das war irgendwann auch mehr, als sich sonst auf dem Immobilienmarkt erwirtschaften ließ, und dort tummelte sich die Genossenschaft seit Anfang der 90er-Jahre.
Wie das ging, scheint sich niemand recht gefragt zu haben. Dem Konsum traute man das zu. Dem Kosum haben 190.000 Mitglieder vor allem aus dem Osten Berlins ihr Vertrauen geschenkt, haben ihm zwischen 25 und 25.000 Euro Einlage anvertraut. Wenn schon Kapitalismus, dann wollten sie auch etwas davon haben. Doch jetzt ist alles anders.
Jetzt ist von 96 Millionen Euro Schulden die Rede, von geschönten Bilanzen und überbewerteten Immobilien und davon, dass die 57 Millionen Euro Kapitaleinlage der Mitglieder zum Ausgleich herangezogen werden soll. Jetzt ist alles grau. Die Zukunft des Konsum, der Nachmittagshimmel und auch das Hotel, das ihm an der Landsberger Allee entgegenwächst. Grau sind auch die Gesichter der knapp 200 Menschen, die sich vor dem Hotel versammelt haben.
Drinnen tagt die Vertreterversammlung samt Vorstand und Aufsichtsrat. Draußen tobt der Widerstand. Sie sind gekommen, um zu protestieren und zu hören, was der kleine Mann mit der braunen Prinz-Heinrich-Mütze zu sagen hat. Günter Mann ist Mitglied wie sie, er hat am Montag einen Aufruf in der Zeitung veröffentlicht, er ist auf einen zur Bühne umgebauten Autoanhänger geklettert und umklammert das Mikrofon.
„Wir werden nicht zulassen, dass man den Konsum ausplündert“, ruft der kleine Mann und die Senioren-Schar ruft „Ja“ und „Nein“ und „Pfui“ und „Schande“. Ein Mann schimpft, es sei schon immer so gewesen, die ganze DDR hätten diese Wessis platt gemacht und jetzt sei wohl der Konsum dran. Sie können ihn schlecht verstehen, auch weil auf dem Nachbargrundstück ein Rasenmähertraktor rumpelt.
Sie können überhaupt schlecht verstehen. Wieso auf einmal all die Immobilien, die der Konsum besitzt, all die Kaufhallen, die an West-Handelsketten vermietet sind, auf einmal so viel weniger wert sein sollen. Wieso deshalb eine Wertberichtigung in der Bilanz vorgenommen werden soll. Und wieso ausgerechnet sie die daraus resultierenden Abschreibungsverluste bezahlen sollen. So will es der neue Vorstandsvorsitzende, um dessen Zukunft es an diesem Nachmittag im Hotel geht. Am Ende wird er gehen müssen. Aber das weiß hier noch niemand. Es würde sie freuen, obwohl das nichts lösen würde.
Sie glauben ihm nicht. Gar nicht. Sie glauben, der neue, Alexander H. Lottis, will den Laden platt machen, um ihn den Banken in ihren gierigen Schlund zu werfen. Sie glauben, dass er deswegen gekommen ist und dass er korrupt ist. Sie glauben das, weil er davor für die Deutsche Bank gearbeitet hat. Und weil er sich nach Amtsantritt Anfang Juli ein BMW-Cabriolet zugelegt hat. Als Dienstwagen. Ein Cabriolet.
Der Konsum hat 140 Millionen Euro Schulden bei den Banken. Sagt Lottis. Der Konsum hat Immobilien, deren Wert seit Jahren zu hoch angesetzt wurde. Sagt Lottis. Der Konsum hat 36 Millionen Rücklagen, die aber nicht ausreichen, um die Verluste auszugleichen. Sagt Lottis. Er sagt, es gebe keine andere Wahl, entweder so oder Insolvenz. Das können sie nicht glauben. Und das wollen sie auch nicht glauben. „Das lassen wir uns nicht bieten“, ruft der kleine Herr Mann. Er will Unterschriften sammeln für eine Sammelklage. Wer mitklagen will, soll sich eintragen. Die Listen liegen auf dem beigen Teppich aus, mit dem der Anhänger bedeckt ist.
Etwas abseits der grauen Menge leuchtet ein altrosa Mantel. Darin steckt eine kleine Frau, mit dem freundlichen Lächeln und den traurigen Augen. Sie ist 60 und seit 1963 Mitglied. „Wir wollen einfach nicht, dass die Schulden mit unseren Mitgliedereinlagen bezahlt werden – deswegen sind wir hier“, sagt sie. Ihren Namen mag sie nicht verraten, sie traut der Presse nicht.
Ihre Großmutter war schon vor dem Krieg Mitglied bei Konsum, ihre Mutter auch, und als die 63 verstarb, da hat sie die Familientradition fortgesetzt. Früher haben sie Abende lang Rabattmarken geklebt. Von dem Geld, was es dafür vom Konsum gab, haben sie die Weihnachtsgans gekauft. Dann kam die Wende. Niemand klebte mehr Marken, und der Konsum stieg ins Immobiliengeschäft ein.
Eigentlich war sie ja immer eher für Sparbuch. „Wissen Sie, det is sicherer“, sagt die alte Frau. Aber die Tochter hat sie und ihren Mann immerfort mit Aktien belagert. Da hat sie ihren Mann überzeugt, Konsum-Anteile zu kaufen. „Gab ja auch prima Rendite“, sagt sie.
Doch jetzt ist sie sauer. Kurz vor der Euro-Umstellung hat ihr Mann 20.000 Mark eingezahlt und noch mal ein paar tausend für die Enkelkinder. Sie vermutet, dass das damals schon nicht ganz koscher war, was der Konsum da gemacht hat.
Plötzlich wird es laut. Einige Senioren wollen Lottis auf dem Parkplatz gesichtet haben. Aber der kann nicht kommen, der kämpft. Statt Lottis steht wenig später ein junger Mann hinter der Bühne. Andrej Karpinski, schwarzer Anzug, keine dreißig. Er sagt, er sei der kaufmännische Leiter. Sie wollen ihn zwar nicht sprechen lassen, umringen ihn aber wenig später von allen Seiten und beschimpfen ihn aus allen Richtungen. Verbecher! Betrüger! Konsum-Verräter!
„Jemand muss die unschöne Wahrheit überbringen. Ob der Lottis, Meyer oder Schulze heißt, ist dabei völlig egal“, sagt Karpinski. Dann kommt auch der kleine Herr Mann, zwängt sich durch die Menge, schimpft dabei, und dann stehen sie sich gegenüber: Ost-Rentner trifft West-Schnösel. Konsum trifft KaDeWe.
„Jedes Jahr hat es für eine Rendite gereicht“, wettert Mann. „Ja, dann fragen Sie sich mal, woher das Geld kam, wenn der Laden seit Jahren Verluste macht. Fragen Sie sich mal, ob es nicht Ihre Einlagen sind, die Sie ausgezahlt bekamen“, ruft Karpinski.
Karpinski ist schlagfertig, wortgewandt – und unsensibel. „Zeigen Sie endlich Mitleid“, ruft jemand. „Lassen Sie den Konsum in Ruhe!“
„Natürlich können Sie das Attest, auf dem Leukämie steht, immer wieder zerreißen, aber davon wird es auch nicht besser“, kontert Karpinski, der sich ernsthaft Sorgen machen muss, nicht verprügelt zu werden. Stattdessen fragt er die Umstehenden, warum alle auf Lottis sauer sind. Der ist so wie er erst seit zwei Monaten dabei. Andere sind seit fast 20 Jahren im Vorstand. Und wollen von nichts wissen. Dann fragt er sie noch, warum eigentlich im ganzen Haus der Schredder lief, am Tag als Lottis seinen Job antrat, und wieso der erst dann aufhörte, Akten zu fressen, als er im Keller die Sicherung rausdrehte. Aber es mag ihm keiner zuhören. Sie haben Fragen, aber sie wollen die Antworten nicht hören – zumindest nicht diese. Sie wollen Aufklärung und sie wollen ihre Einlagen behalten. Beides gleichzeitig scheint es nicht zu geben. Der Konsum hat sich verändert. „Rotkäppchen ist auch nicht mehr Rotkäppchen“, sagt eine Frau. Es hatte sich schon einmal alles verändert. Damals, als der Konsum aus dem Handel ausgestiegen ist und immer mehr Menschen Konsum auf der zweiten Silbe betonten. Jetzt ist wieder alles anders. Der neue Vorstand ist jetzt der alte und der alte ist jetzt der neue. Lottis wurde am späten Abend entlassen, mit ihm wurden auch Karpinski und drei weitere seiner Anhänger sofort beurlaubt. Es fehle das Vertrauen, sagt der neue alte Vorstand. Die Vorwürfe seien haltlos. Lottis darf sich nicht mehr zum Thema Konsum äußern. Höchstens gegenüber der Staatsanwaltschaft. Die interessiert sich seit kurzem brennend für die Geschäfte des Konsum. Vor allem für die des Vor-Lottis-Vorstandes, der auch der Nach-Lottis-Vorstand ist. Böse Worte machen die Runde, von Anlagebetrug ist die Rede und von Untreue. Es ist alles anders. Alles grau. Der Nachmittagshimmel und die Zukunft des Konsum.