: Schönes altes Stoiberland
Bayerns ministerpräsident versteht das wahlvolk nicht – darum unterschätzt er Merkel und Westerwelle. Nicht lebensstile von politikern zählen, sondern ihre lebensstiltoleranz
Mit einer „ostdeutschen protestantin“ und einem „junggesellen aus Bonn“ könne die Union keine wahl gewinnen. Das soll Edmund Stoiber gesagt haben. Ob er es wirklich sagte, spielt keine rolle, weil jeder weiß, dass Stoiber so denkt.
Einstweilen wissen wir nur gesichert, dass die deutschen keinen katholischen Bayern mit reihenhausmentalität zum kanzler haben wollen. Den herren Schröder und Fischer, von denen Stoiber meint, Merkel und Westerwelle könnten ihnen nicht das wasser reichen, ließen die deutschen dagegen multiple biografische brüche und mehr als eine hand voll scheidungen durchgehen. Ein ex-Juso-chef und ein taxifahrer dienen Stoiber jetzt als monumentalstaatsmänner, mit denen die parteichefs von CDU und FDP angeblich nicht die gewichtsklasse teilen. Das sagt ausgerechnet der chef einer regionalpartei, der vor zwei jahren jenem duo unterlag und dabei denselben junggesellen zum adjudanten hatte, nur dass der damals noch mit Guidomobil und mit ziffern lackierten schuhsohlen durch Deutschland alberte.
Stoiber sitzt in einer wahrnehmungsfalle, seit jahren von denselben „ohrenbläsern“ umgeben. Verlässt er die münchner staatskanzlei, trifft er entweder auf politprofis, bei denen das gesagte in unerschütterlicher routine das gegenteil des gedachten ist, oder auf die CSU-basis – in Stoibers autosuggestion: Das volk. Wenn er nach Recklinghausen oder Sachsen fährt, sprechen ihn hinterher leute an und raunen: „Herr Stoiber, sie müssen das noch mal machen. Die Merkel kann das nicht, und ein schwuler außenminister, stellen sie sich das mal vor!“ Stoiber nickt dann verständnisvoll und glaubt an das märchen, wieder einem begegnet zu sein, der so denkt wie alle deutschen. Nur dass der normale deutsche eben besseres zu tun hat, als zu einer veranstaltung mit dr. Edmund Stoiber zu gehen.
Es ist möglich, dass Angela Merkel in keiner bevölkerungsgruppe so schwer als kanzlerin vermittelbar ist wie in teilen der CDU- und CSU-basis. Aber das spielt keine rolle. Selbst wenn mitglieder – was unwahrscheinlich ist – 2006 nicht die Union wählen sollten, hat das für den wahlausgang kaum bedeutung. Merkel hat längst verstanden, dass nicht entschiedene Unions-wähler, sondern rationale wechselwähler die wahl entscheiden.
Angela Merkel und Guido Westerwelle sind dabei ein team. Merkel hat von Helmut Kohl eine goldene regel gelernt: Die FDP nicht schlecht behandeln, vor allem dann nicht, wenn es der FDP schlecht geht. Die bundespräsidentenkür war ihr treuebeweis. Merkel und Westerwelle spielten monatelang ein abgekartetes Spiel: Die CDU stellt den präsidenten, die FDP sucht ihn aus. Horst Köhler hat ein schwarzes parteibuch und eine liberale agenda.
Edmund Stoiber hat das zu spät begriffen. Wahrscheinlich erst, als der FDP-sprecher ins Bundespräsidialamt wechselte. Vielleicht nicht einmal dann. Bei der menage à trois in Westerwelles wohnung war Stoiber der einzige gast. In Bayern lernt man vielleicht das regieren. Das koalieren begreift man derweil halt nicht – und hält das unverdrossen für eine stärke.
Stoiber hat auch den deutschen osten nicht kapiert. Er kapiert nicht urbane politik und sieht vor sich die CSU München im schwefeldunst der hölle versinken. Er kapiert Ole von Beusts sieg nicht und auch nicht Jürgen Rüttgers’ hart und kommunal erarbeiteten sieg. Er ruft ein letztes mal den lebensstil-alarm aus und damit die alten getreuen zu den waffen.
Nur: Die CDU Baden-Württemberg ist klinisch tot; Erwin Teufel und Günther Oettinger liefern sich noch monatelang ein rennen mit bekanntem Ausgang. Nicht besser ergeht es der CDU in Rheinland-Pfalz. Die notorisch antiurbane Berliner CDU hat mit Peter Kurth ihre herz-lungen-maschine verraten und verkauft. Die Sachsen-CDU wird demnächst auf post-Biedenkopf-normalmaß gestutzt. So werden stattdessen Wulff, Althaus, von Beust, Rüttgers, Müller, Koch und Böhmer die Merkel-Union als länderchefs prägen. Das ruft Volker Rühes vorhersage nach der wiedervereinigung in erinnerung: Die CDU wird nördlicher, östlicher und protestantischer werden. Edmund Stoiber versteht das nicht. Er lebt in einem anderen, gleichwohl schönen land.
Wer ist Angela Merkel? Sie prägt die chronisch programmarme Union kaum. Sie ist inhaltlich nicht fassbar. Man weiß nicht, was sie über schwule denkt, was über sozialhilfeempfänger, was über Ackermann, was über die 40-stunden-woche, was über feminismus, was über altersarmut. Sie lässt andere denken und reden. Sie lässt sich beraten. Sie lässt sich nicht stürzen. Sie macht keine fehler.
Den hyper-machos Schröder und Fischer tritt mit Angela Merkel eine frau entgegen, die die männer in den eigenen reihen bereits erfolgreich in die schranken gewiesen hat. Deshalb klingen die stoiberschen sottisen ja auch wie am altherrenstammtisch aufgeschnappt. Nach abgestandenem bier. Nach gestern. Angela Merkel traut man zu, hier durchzulüften. Sie wird sich hüten, sich im wahlkampf von den herren Merz und Koch einrahmen zu lassen.
Träfe Stoiber ganz normale deutsche in Regensburg, Lüneburg, Magdeburg oder Homburg, dann wäre ihm klar: Der lebensstil der politiker ist ihren wählern erfreulich egal. Nicht sein lebensstil macht einen politiker wählbar oder unwählbar, wohl aber seine lebensstiltoleranz. Gefragt sind nicht mehr tugendbolde, sondern tüchtige manager.
Am beispiel Christian Wulff zeigt sich, dass der nette familienmensch natürlich in der neuen mitte abräumen kann. Aber hätte Wulff ein problem damit, auf einer veranstaltung am tisch mit Guido Westerwelle und dessen freund zu sitzen? Wohl kaum. Wulff ist ein feines beispiel für einen politiker, der milieuübergreifend, vielleicht sogar -verbindend, akzeptiert wird. Während Edmund Stoiber seine „Muschi“ packen und wutentbrannt die party verlassen würde. Seine verlogenheit besteht ja darin, dass er Westerwelle nach einem wahlsieg 2002 ohne zögern zum vizekanzler gemacht hätte, um dessen homosexualität wohl wissend. Solange schwule lügen, sind sie für Stoiber tolerabel. Adenauer war da schon weiter. Ihm reichte, dass ihn Brentano nicht befummelte. Seitdem sollte ein schwuler außenminister kein thema mehr sein.
Guido Westerwelle ist trotzdem das problem des Unions-wahlkampfs. Natürlich nicht wegen seines eher windschattigen outings. Die frage ist nur, ob ein clown außenminister werden kann. Das aber lässt sich leicht regeln. Man muss den leichtmatrosen nur neu vertäuen. Als innenminister (und vizekanzler) ist der freidemokrat eine versuchung für Schily-geschädigte gesinnungsliberale, während Wolfgang Schäuble für seine parteichefin den erdball ordnungsstiftend umkreisen darf.
Wie die abgeordnete der Hansestadt Stralsund weiß, können aus leichtmatrosen kapitäne werden. Aus gebirgsschützen nicht. MARKUS SCHUBERT